: Pool’s out for Summer!
Endlich Mai: Die Vögel zwitschern, die Freibäder öffnen. Die Freibäder öffnen? Gar nicht wahr! Viele Bäder bleiben in diesem Jahr geschlossen. Kein Geld! Und die privaten Swimmingpools, einst Symbol für materiellen Wohlstand? Drei Ortstermine
von REINHARD KRAUSE
Pool eins: ein gemauerter Outdoor-Pool in Seevetal bei Hamburg. Länge: etwa sieben Meter. Breiteste Stelle: zirka vier Meter. Tiefste Stelle: 2,20 Meter. Geschätztes Volumen: 56.000 Liter. Eine Füllung mit Trinkwasser des Wasserbeschaffungsverbandes Harburg (0,82 Euro pro Kubikmeter) würde 45,92 Euro kosten.
„Aber sicher“, sagt die Tochter. „Klar war der Pool eine Frage des Prestiges, wie das ganze Haus.“ Kein klassischer Flachdachbungalow, sondern ein niedriges Gebäude mit sukzessive ausgebautem Dachgeschoss und Panoramascheiben im Parterre. Als das Haus 1960 bezugsfertig war, kam Franziska M. auf die Welt. Ihr Vater, Schlagerproduzent und Besitzer eines Musikstudios, hatte den Pool gleich mitplanen lassen, ein gemauertes Geviert, das mit einer blauen Spezialfarbe gestrichen wurde.
Gerade hängt die Tochter in der elterlichen Schrankwand. „Hier müssen die Fotos doch irgendwo sein.“ Luftaufnahmen von Haus und Pool. Wie die Erinnerung doch trügen kann. Nicht in Form einer Acht war der Swimmingpool geschnitten, sondern auf der Südseite, dem Wald zugewandt, wie eine Niere, auf der anderen, Richtung Haus, im rechten Winkel. Nicht sehr groß, aber ziemlich tief. „Blödsinnig tief“, erinnert sich die Tochter, „2,20 Meter. Da zog einem richtig der Schmerz durch den Körper, wenn die Sonne das Wasser noch nicht auf Temperatur gebracht hatte.“
Wo einmal der Pool war, wächst heute Rasen. Das Becken wurde mit Bauschutt aus dem Tonstudio gefüllt und mit Erde bedeckt. „Ich fand’s toll“, sagt die Tochter ungerührt, „als das dann wieder zugeschüttet war. Ich habe dem Pool keine Träne nachgeweint.“ Da war sie allerdings auch schon achtzehn und von zu Hause ausgezogen, dem Pool entwachsen, sozusagen. Heute wohnt sie mit ihrer Tochter ein wenig den Hügel hinab in Rufweite des Elternhauses.
Ihre Mutter harkt gerade die Rabatten links und rechts des sanft kurvenden Gartenwegs. Auch sie möchte nie wieder einen eigenen Pool haben: „Sie machen sich keine Vorstellung, wie viel Arbeit ein Swimmingpool macht, wenn man keinen Gärtner hat, der sich um alles kümmert. Andauernd musste die Farbe ausgebessert werden, und dann der ganze Schmier von den blühenden Kiefern. Und immer war der Garten voll mit Kindern aus der ganzen Nachbarschaft …“
Immerhin scheint Frau M. die Einzige gewesen zu sein, die den Pool nicht nur zum Planschen nutzte. „Meine Ma“, sagt Franziska M., „absolvierte immer ihr Trainingsprogramm im eisigen Wasser. Nach dem Motto: Qual bringt nach vorne!“ Tausend Meter auf sieben Meter Beckenlänge, das macht ungefähr siebzig Runden. Immer im Kreis. Mal rechts rum, mal links rum.
Eingelassen wurde das Wasser meist zwei Tage vor Beginn der Sommerferien. Saisonende war im September, wenn nicht mehr gechlort und das Wasser langsam brackig wurde. Denn Chlor musste sein. „Sonst hat man da gleich Algen drin, die sehen aus wie kleine Würmer, echt eklig. Erst dachte ich, huch, wie viel Popel hängen denn hier, aber dann hat mir jemand gesagt: Das lebt, das sind Algen. Ohne Chlor gab es auch schnell Wasserläufer, und irgendwann mochte man dann da drin auch nicht mehr schwimmen. Im Teich sieht man das ein, da gehört das hin, aber im Pool vor der Veranda? Oh nee!“
Aber auch andere Tiere, größere, gerieten schon mal in den Pool. Vor allem nachts. Dann lagen sie mausetot in über zwei Meter Tiefe und waren nicht immer gleich sichtbar. „Manchmal gab es so Schatten, da unten auf dem Grund, und dann musste man Ursachenforschung machen. Und manchmal waren die Dinger auch schon so aufgeschwemmt, dass man die gar nicht mehr erkennen konnte. Aus einer Feldmaus war dann schon mal so ein kleiner Hase geworden.“
Das größte Lebewesen, das irrtümlich in den Pool geriet, war ein Vorschulkind aus der Nachbarschaft. Franziska M. wollte gerade zum Reitunterricht: „Ich komme aus dem Haus und denke, was ist denn da am Pool los? Ich sofort mit Kopfsprung da reingesprungen, wie ich war, mit Reitstiefeln, und das Kind da rausgezogen. Das hat uns dann veranlasst, da so ein kleines Zäunchen drumzuziehen. Man war sich damals noch gar nicht so im Klaren, wie gefährlich das ist, wenn da Kinder unbeaufsichtigt herumspielen, die noch gar nicht schwimmen können. Aber mal ehrlich: Ein Pool mit einem Zäunchen drum rum, das ist nicht sehr mondän.“
Pool zwei: ein rundes Stahlbecken in Berlin-Spandau. Durchmesser: 3,20 Meter. Tiefe: 1,20 Meter. Volumen: etwa zehntausend Liter. Eine Füllung mit Trinkwasser der Berliner Wasserbetriebe (1,887 Euro pro Kubikmeter) kostet 18,87 Euro.
Das Wetter spielt nicht mit. Zum Glück für Angelina T. Zwar blinzelt immer mal wieder die Sonne zwischen den Wolken hervor, aber bei Lufttemperaturen um fünfzehn Grad und gelegentlichen Windböen wird das Anschwimmen heute nach Menschenermessen ins Wasser fallen. Die Fünfzehnjährige lächelt gelegentlich verstohlen vor sich hin. Ein wenig schadenfroh, möchte man meinen. Oder einfach nur erleichtert.
Ein 1. Mai im Garten hinter einem dreigeschossigen Reihenhaus in Berlin-Spandau. Nordseite. Bis – vielleicht – die Nachmittagssonne das frei stehende Edelstahlbecken erreicht, liegt der Garten in kühlem Schatten. Herrn T., Angelinas Vater, ficht das nicht an. Am vergangenen Wochenende war es noch ungemütlicher. Da hat er die Abdeckplane vom Becken genommen, vorher das letzte Winterlaub heruntergesammelt und seinen kleine blauen Pool von den Blättern und Insektenkörpern gesäubert, die in den letzten Monaten trotzdem den Weg ins Bassin gefunden hatten. „Das ist jedes Mal eine hübsche Überraschung, was sich da so alles ansammelt“, sagt er und feixt. „Aber wozu gibt es Gummistiefel und Arbeitshandschuhe?“ Dann hat er das Becken gründlich gereinigt und das Wasser für die Badesaison 2002 eingelassen. Ungefähr zehn Hektoliter oder zweihundert Badewannenfüllungen.
Wenn irgend möglich, wird er damit auskommen. Speziellen Swimmingpoolchemikalien und einer Umwälzpumpe sei Dank. Denn Herr T. ist ein friedliebender Mensch und nicht der einzige Wohnungseigentümer im Haus. Seit der Privatisierung der ehemals genossenschaftlich verwalteten Anlage haben die sechs Parteien zwar so dieses und jenes an Renovierungsarbeiten ausführen lassen, der Einbau von Wasseruhren gehörte aber bislang nicht dazu. „Na, Herr T.“, hieß es leicht säuerlich, als er vor vier Jahren das Becken aufstellte, „wann kann ich denn mal bei Ihnen zum Baden vorbeischauen? Bezahlt hab ich ja schließlich auch dafür.“ – „Wie wär’s mit nächstem Samstag?“, hat der Einzelhändler da zurückgefragt. Und sich gegraust bei der Vorstellung, die Nachbarn würden wirklich in seinen Pool steigen und dort ausgiebig herumplanschen.
Denn zum wirklichen Schwimmen ist das Becken natürlich viel zu klein. Auf einer Eigentümerversammlung hat er sich später bereit erklärt, eine höhere Wasserpauschale zu zahlen. Den Strom für die Pumpe bezieht er aus der eigenen Steckdose. Praktischerweise wohnen Herr T. und Angelina im Erdgeschoss; da reicht eine einfache Kabeltrommel. Fast könnte Herr T. von seinem Schlafzimmerfenster in den Pool hechten.
Gekauft hat er das Becken vor vier Jahren – „gebraucht, für zweieinhalbtausend Mark, mit Pumpe und Zubehör. Von einem Kollegen, der auf einen Badeteich umgesattelt hat, so auf naturnah, naturtrüb …“ Herr T. bevorzugt das klare, blau glitzernde Wasser in seinem Pool. Einmal abgesehen davon, dass seine Nachbarn wohl wieder Kopf stünden, wenn er hinter dem Haus einen Teich anlegte, der womöglich Mücken und andere Insekten anzieht.
Angeschafft hat er den Minipool vor allem wegen seiner Tochter, sagt Herr T. Und in den ersten Sommern war auch immer viel Stimmung im Garten, wenn Angelina ihre Schulfreundinnen zum Schwimmen einlud. Doch inzwischen schlägt die frühere Begeisterung in Langeweile um. „Die gehen jetzt lieber ins Freibad“, sagt Herr T. „Kann man ja auch verstehen. Da gibt’s einfach mehr zu gucken.“ Und wie oft steigt er selbst ins Nass? „Na ja, vor allem, wenn’s richtig heiß wird. Also nicht so regelmäßig.“ Aber lohnt sich dann der ganze Aufwand noch für ihn und seine Tochter, die ohnehin lieber ins Freibad geht? „Nicht wirklich“, sagt Herr T. etwas zögernd. „Aber das muss ich Angelina ja nicht auf die Nase binden.“
Pool drei: ein Minihallenbad in Coesfeld, Münsterland. Länge: acht Meter. Breite: vier Meter. Tiefe: 1,50 Meter. Volumen: 48.000 Liter. Eine Füllung mit Trinkwasser der Stadtwerke Coesfeld (1,27 Euro pro Kubikmeter) kostet 60,96 Euro.
Thomas B. war das ganze Trara um den elterlichen Pool rechtschaffen peinlich. „Wir galten in der Schule sowieso schon als Bonzenfamilie. Und dann ließ mein Vater Ende der Siebzigerjahre auch noch den Keller mit der Sauna um einen Anbau mit Swimmingpool erweitern. Aus gesundheitlichen Gründen, wie es immer hieß, wegen seiner chronischen Rückenschmerzen. Ich war heilfroh, dass ich mein Abitur schon gemacht hatte und nicht mehr mitbekam, wie sich meine ehemaligen Mitschüler über uns das Maul zerrissen.“ Denn der Einbau des Pools war damals Stadtgespräch. Das stand sogar in der heimischen Presse.
Das Becken war nämlich eine Fertigkonstruktion und ließ sich nicht auf normalem Weg anliefern. Ein Sicherheitskonvoi geleitete den Transporter über die Autobahn, im Nachbargarten mussten zwei Bäume gefällt werden, und ein riesiger Kran hievte schließlich das Becken über den strengen Sixties-Bungalow. Ein Fest für jede Lokalredaktion, eine Marter für die Kinder.
Was im geräumigen Badebereich als Erstes auffällt, ist die Hallenbadluft. Warm ist es und feucht. Ein wenig nach Chlor riecht es auch. Und man wird gebeten, Schuhe und Strümpfe auszuziehen, wie im richtigen Hallenbad. Hier gibt es nicht nur das komfortable Schwimmbecken mit Gegenstromanlage („Die gehört standardmäßig dazu, sonst müsste man ja dauernd wenden“), auch eine finnische Sauna ist vorhanden, ein Solarium, einige Fitnessgeräte. Und zwei Duschkabinen aus der Zeit, als Wasserkosten noch echte Nebenkosten waren: Oben ist ein gängiger Brausekopf installiert, und an jeder Seite gibt es, etwas niedriger angebracht, zwei weitere Düsen. Regulierbar von „Sommerregen“ bis „Kneippguss“. Für Whirlpoolfeeling ohne Whirlpool.
Für die Benutzung des Pools gilt noch heute, fast ein Vierteljahrhundert nach dem Einbau, ein strenges Reglement. Regel Nummer eins: Nur die engsten Blutsverwandten dürfen hier ihre Bahnen ziehen, und auch das nur, wenn sie fragen. Thomas B., inzwischen 43 und Redakteur in Süddeutschland: „Um Gottes willen! Freunde durften hier nie baden!“ Regel Nummer zwei: Nach dem Baden ist alles trocken zu wienern.
Für das Lüften danach gibt es eine etwas undurchsichtige Hierarchie von Türen, die zu öffnen, und solchen, die geschlossen zu halten sind. Und Regel Nummer drei: Nacktbaden ist streng untersagt! Nicht etwa wegen der familiären Etikette, sondern wegen der Haare, die das Flusensieb vor der Zeit verstopfen könnten. Weshalb auch immer noch Badekappenzwang herrscht.
Gerade der letzte Punkt reizte allerdings schon immer zu klaren Verstößen gegen das Reglement, wie Thomas B. kichernd bekennt: „Wenn ich in früheren Jahren zu Besuch war und in den Pool ging, kam mein Vater gerne mal unangemeldet reingestürmt und kontrollierte, ob ich auch nichts Verbotenes tue. Aber immer nur einmal. Dann schwamm ich da unschuldig herum mit der blütenbesetzten Gummibadehaube von meiner Mutter auf dem Kopf – dagegen konnte er ja nichts sagen. Und wenn er weg war, zog ich mir die Badehose aus. Die Haube behielt ich aber auf, denn das sah besonders pervers aus. Hihi …“
Heute ist Vater B. schon ein paar Jahre in Rente, der eigene Betrieb ist aufgelöst, die sechste Generation der Familie hatte beruflich anderes im Sinn als Landmaschinen. Noch immer schwimmt Herr B. täglich gegen die Rückenschmerzen im 27 Grad warmen Wasser an. Aber was wird, wenn die Eltern eines Tages nicht mehr sind? „Das Haus“, sagt Thomas B., „wird wohl verkauft, denn von uns vier Kindern hat keiner die Mittel, die anderen Geschwister auszuzahlen.“ Aber bis dahin wird es wohl noch diverse Anrufe der Eltern geben: „Junge, du ahnst es nicht, wir haben das ganze Wochenende das Schwimmbad geputzt. Das gibt wieder Muskelkater!“
REINHARD KRAUSE, Jahrgang 1961, taz.mag-Redakteur, wuchs zwischen Elternhaus, Schule und öffentlichem Hallenbad auf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen