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meistermacherZwei Herzen in Sammers Brust

Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der Moment, in dem man zumindest eine Ahnung davon gewinnen konnte, was diese Meisterschaft dem Fußball-Lehrer Matthias Sammer bedeuten muss, trug sich hoch droben im Westfalenstadion zu, dort, wo nach dem Spiel die Medienschaffenden mit allerlei Zitaten abgefüttert werden. Es war ein ebenso kurzer wie leiser Moment – und vielleicht konnte er überhaupt nur zustande kommen, weil Sammer sich in ihm unbeobachtet fühlte, nur einen kurzen Wimpernschlag lang. Vor dem Podium wartete die versammelte Pressemeute in einer guten Hundertschaft, dahinter der frisch gebackene Meistertrainer, dass es endlich losgeht. Sammer, von den meisten Reportern noch unentdeckt, nutzte diese Sekunden bis zu seinem Auftritt mit einem Blick hinunter auf den Rasen des Westfalenstadions, wo eine gelb-schwarze Masse Mensch freudentrunken tanzte, sang und feierte. Ein bisschen sah es so aus, als staune der Trainer über all die Ausgelassenheit, die da unten tobte, jedenfalls war zu beobachten, wie er ganz leicht den Kopf hin und her bewegte. Dann huschte ein sanftes, aber doch tiefes Lächeln über das zuvor noch ernst und angespannt wirkende Gesicht des 34-Jährigen – und in diesem Moment muss der Fußball-Trainer Matthias Sammer doch sehr glücklich und zufrieden mit sich, der Welt und, vor allem, dem Fußball gewesen sein. O ja, ganz bestimmt war er das.

Kurz darauf betrat der Dortmunder Meistermacher endlich das Podium. Zwar lächelte er immer noch, aber es wirkte lange nicht mehr so tief wie in dem innigen Augenblick zuvor, sondern irgendwie – öffentlich. Und dazu sagte Sammer relativ sachliche, öffentliche Sätze, Sätze wie diesen: „Ich denke, dass die Mannschaft sich den Sieg verdient hat.“ Und: „Ich glaube, dass wir im Moment noch gar nicht realisieren können, was wir heute erreicht haben.“ Oder: „Wenn theoretisch noch etwas möglich ist, muss man alles versuchen, um es auch möglich zu machen.“ Vor allem aber: „Ich möchte mich nicht als Meistertrainer sehen, sondern als Mitglied einer Mannschaft, die Moral gezeigt hat und verdient Meister geworden ist.“

Vielleicht ist das der wichtigste Sammer-Satz der ganzen Saison. Auf jeden Fall scheint er den Nagel genauestens auf den Kopf zu treffen. Denn darüber sind sich die Psychologen unter den Fußball-Reportern längst einig: Dass dieser Sammer auch im zweiten Jahr seiner Übungsleitertätigkeit eine gespaltene Persönlichkeit geblieben ist: Trainer zwar in seiner Ratio, in seiner Gefühlswelt aber immer noch Spieler. Und noch gar nicht so lange her ist es, dass der 34-Jährige, der seine große Karriere ja zwangsweise beenden musste, selbst bekannte: „Ich würde alles Geld der Welt dafür geben, wenn ich noch einmal spielen könnte.“

Da drängt sich das Bild von Dr. Jekyll und Mr. Hyde ganz von selbst auf, wobei es bei Sammer natürlich nicht um Gut und Böse geht, sondern einfach um den Gegensatz: Da der besonnene, distanzierte Trainer-Sammer mit „Einsicht und Tiefgang“ (FAZ), dort der aufbrausend emotionale Spieler-Sammer, „die Heißkiste“ (Sammer über Sammer), die auch heute noch bisweilen durchbrennt, so wie vor Wochenfrist, als er beim Spiel in Hamburg HSV-Spieler Barbarez von der Bank aus wutentbrannt den Ball in dessen Hinterteil gekickt hatte. „Es tut mir leid“, hat Sammer später gesagt. „Ich habe mich verhalten wie ein Spieler.“

Was gar nicht so schlimm ist, wie manche finden. Denn es gibt nicht nur in Dortmund durchaus Menschen, die sich etwas mehr Spieler-Sammer im Trainer-Sammer wünschen würden, nicht unbedingt, wenn er während der Spiele am Spielfeldrand sitzt, da ist er schon noch „Feuerkopf“ genug; aber doch zumindest bei seinem Job als erster Öffentlichkeitsarbeiter seines Vereins. Trocken und nüchtern kommt er auf Pressekonferenzen oder bei Fernsehinterviews daher, meist mit Sorgenfalten auf der Stirn und einem Wort auf den Lippen, das bisweilen verdächtig nach Nörgelei klingt, weil er, der Perfektionist, doch meist ein Haar findet, auch wenn die Suppe noch so lecker schmeckt.

Dabei: Ein Dauernörgler will Sammer auf keinen Fall sein, dass er „ein bisschen spröde“ rüberkommt, weiß er hingegen schon, auch Meisterfeiern machen da keine Ausnahme: Als die Meisterspieler mit ihrer Meisterschale sich zur Ehrenrunde aufmachten im Hexenkessel, zog sich der Meistertrainer vornehm zurück. „Wenn so viele Menschen auf mich zustürmen, verdrücke ich mich gerne“, begründete Sammer seinen frühen Abschied und versprach: „Dafür werde ich heute Abend die Polonaise anführen.“ Das hätte man nur zu gerne gesehen. FRANK KETTERER

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