: Barrierefrei geträumt
■ Behinderte fordern ein Landesgleichstellungsgesetz. Dessen Einhaltung soll ein Behindertenbeauftragter überwachen. Heute ist Protesttag
Ein schöner Traum: Kein Schreiben verlässt Bremens Amtsstuben, bevor es nicht jeder verstehen kann! Im Zweifel muss eben ein „Verständlichkeitsbeauftragter“ einschreiten, der den Text bearbeitet, bis keine Frage offen bleibt.
Solche Ideen mit Aussicht auf große gesellschaftliche Zustimmung bringt der „Arbeitskreis Bremer Protest“ heute bei verschiedenen Veranstaltungen zum 10. Bremer Protesttag gegen Diskriminierung ein. Ganz lebensnah. „Denn es muss ja nicht gleich eine neue Stelle eingerichtet werden“, sagt Wilhelm Winkelmeier von „Selbstbestimmt Leben“ friedfertig. „So was könnten doch die Öffentlichkeitsleute mitmachen.“
Entstanden ist diese praktische Idee bei den wochenlangen Vorbereitungen auf den heutigen Bremer Protesttag. Sein Motto: „Für das Recht auf unbehinderte Verständigung!“ Ins Visier der Sehbehinderten sind dabei optisch schwer verständliche Internetauftritte geraten. Oder Behördenbriefe an Blinde, die nicht in Braille-Schrift erstellt werden. Oder der mangelnde Gebärdensprachenunterricht. „Den könnte man doch ins Fach Deutsch integrieren“, sagt Winkelmeier. Das fördere Verständigung und sensibilisiere – übrigens auch Behinderte. „Es geht uns nicht darum, mit dem Finger immer nur auf die Politik zu zeigen“, sagt er. „Wir haben uns bei den Vorbereitungen auch selbst genauer angeschaut.“
Dennoch ist der politische Höhepunkt des Tages – das Behindertenparlament – schwerpunktmäßig auf politische Forderungen gegen Diskriminierung aus. Es tritt ehrenamtlich und mit turnusmäßigem Seltenheitswert nur einmal pro Jahr in der Bürgerschaft zusammen. Viel zu selten also, um die Belange behinderter Menschen ausreichend durchzusetzen. Weswegen diese heute – in unmissverständlich leichter Sprache! – erneut fordern werden: Ein Behindertenbeauftragter muss her.
Noch ein Beauftragter? An dieser Stelle sagt Winkelmeier kompromisslos: Ja. So wie auch Dieter Stegmeier, der stellvertretende Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte. Dass der Bremer Senat die Forderung nach einem Behindertenbeauftragten vor Jahren aus Geldgründen abgelehnt hat, ärgert sie bis heute. Zumal es nach der Verabschiedung des Bundesgleichstellungsgesetzes für Behinderte im März jetzt ein Riesentätigkeitsfeld zu beackern gäbe.
„Man kann nicht immer alles ehrenamtlich machen“, sagt Stegmeier mit Vorausschau auf ein Landesgleichstellungsgesetz, das nun folgen müsse. Dies solle wie das Bundesvorbild bessere Klagemöglichkeiten gegen Diskriminierung auf Landesebene gestatten und helfen, die gesetzlich vorgesehene Barrierefreiheit zu erzwingen. „Beispiel Weser-Ems-Bus“, sagt Stegmeier. „Rollstuhlfahrer kommen da nicht rein.“ Das verstoße gegen die Absicht des Gesetzes. Weil die Buslinie nur im Land ansässig sei, könne nur ein Landesgesetz helfen. „Hätten wir so was, wie Berlin, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, könnten wir solche Unternehmen wenigstens an den Verhandlungstisch bekommen“, sagt Stegmeier.
Noch allerdings sind die Behindertenverbände selbst auf Blockadekurs. Sie haben die drei Delegierten noch nicht entsendet, die im parlamentarischen Ausschuss am Gesetz mitarbeiten sollen. Der Grund: Im ersten Schritt werde die Vorlage von der Verwaltung erstellt – ohne Beteiligung der Interessenverbände, die erst im parlamentarischen Ausschuss vertreten sind. „Zu spät“, lautet deren glasklares Votum. Stärkstes Argument: Als das Bundesgesetz in Berlin erarbeitet wurde, waren zwei Bremer auch im Verwaltungsgremium vertreten. Wieso Gleiches auf Landesebene nicht möglich sein soll, könne niemand verstehen. ede
Behindertenparlament: 14 Uhr, Haus der Bürgerschaft
Demo: 12 Uhr ab Friedenskirche, Humboldtstraße
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