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Software schreiben und Tee trinken

„Plaid“, Russell Haswell und Vladislav Delay: Das renommierte Sheffielder Warp-Label schickt neue elektronische Musik auf multimediale „Magic-Bus-Tour“ durch die halbe Welt. Der dazugehörige Bus ist ein Kunstwerk, das Programm wechselt täglich

„Wir wollen die Menschen daran erinnern, dass Musik mit Kunst zu tun hat.“

von JULIAN WEBER

Das englische Elektronik-Label Warp geht auf Konzertreise. An und für sich ist das nichts Außergewöhnliches: Im elektronischen Kontext funktionieren Labels schon immer wie Künstler, sie schicken mehrere Produzenten und DJs auf Package-Tour, um den gemeinsamen Label-Sound zu promoten. Bei Warp war jedoch alles schon immer ein bisschen größer, durchgeknallter und medienwirksamer. So ist das Vehikel für diese erste Tour des Hauses überhaupt nicht irgendein Nightliner, sondern ein eigens gestalteter „Magic Bus“.

Vergleiche mit den amerikanischen Beat Poets oder der „Magical Mystery Tour“ der Beatles drängen sich auf, und Labelgründer Steve Beckett weist sie auch gar nicht von der Hand. „Der Spirit der Sechziger hieß ‚Do it‘! Nicht lange fackeln, loslegen! Im Popbiz von heute ist alles strengen Regeln unterworfen und bis ins kleinste Detail durchdacht. Hinter ‚Magic Bus‘ steckt dagegen die romantische Idee, dass nicht alles perfekt sitzen muss. Nichts ist vorher einstudiert.“

Das Line-Up unterliegt dem Rotationsprinzip: Jeden Abend werden unterschiedliche Musiker zusammen auf der Bühne stehen und mit jeweils anderen DJs Platten auflegen. Und es bleibt nicht bei Musik. Multimedia ist ebenfalls Bestandteil des „Magic Bus“-Konzepts. Neben Filminstallationen werden neue Videos, unter anderem von Regisseur Chris Cunningham, erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt.

Gestaltet wurde der „Magic Bus“ von dem englischen Künstler Alex Rutherford. Erste Fotos auf der Homepage zeugen von einem verschmelzenden Farb-Design, ein Zwischending aus Bat-Mobil, überbackenen Makkaroni und der Drip-Painting-Technik von Jackson Pollock. Fliegt das Ding oder fährt es? „Es ist ein moderner Bus mit Retarder-Bremse und Toilette“, sagt Beckett. „An Bord befindet sich außerdem ein portables Aufnahmestudio. Während der Tournee soll neue Musik entstehen.“

Gängige Vermarktungsstrategien wie Videoclips und CD-ROMs nutzt Warp schon länger als Plattform für bildende Künstler. Chris Cunninghams verstörende Videos für Warp-Aushängeschild Aphex Twin etwa heimsten Filmkunstpreise ein. Auf der eigens für die Konzertreise veröffentlichten „Magic Bus Tour“-CD wiederum sind infernalische Liveaufnahmen von einer Vernissage in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu hören. Und in London lädt Warp regelmäßig zu einer Clubnacht in einer ehemaligen U-Bahn-Station, auf der unterschiedliche Kunstformen als Happening zelebriert werden.

„Wir wollen die Menschen daran erinnern, dass Musik mit Kunst zu tun hat“, so Beckett. „Es geht an diesem Abend nicht um Vergangenheit oder Zukunft, sondern nur um den einen magischen Moment in der Gegenwart. Leben ist ein verdammtes Wunder.“ Das ist durchaus nicht kokett gemeint: Im vergangenen Jahr ist Warp-Mitbegründer Rob Mitchell, knapp vierzigjährig, einem Krebsleiden erlegen.

„Früher haben wir unsere Ideen gemeinsam auf Spaziergängen entwickelt“, sagt Beckett. „Ich habe jetzt niemanden mehr, mit dem ich mich austauschen kann. Furchtbar ist das. Ich merke jetzt erst, wie sehr sich sein Musikgeschmack von meinem unterschied und wie mir sein Widerpart fehlt. Das Gewicht des Labels lastet jetzt allein auf meinen Schultern. Geschäftlich kann ich das verschmerzen, aber menschlich ist der Verlust unersetzlich.“

Vielleicht wirkt „Magic Bus“ darum wie ein Neuanfang. Neben bekannten Namen wie Plaid wird die Tour genutzt, um eine neue Produzentenriege vorzustellen. Leute wie der Amerikaner Richard Devine, der einst durch die frühen Warp-Platten überhaupt zum Musikmachen angestiftet wurde. Ein altes Dilemma, das Live-Konzert im elektronischen Kontext, umgeht Devine, in dem er mit der Software Reaktor improvisiert und dabei wie ein Jedi-Ritter mit den Armen herumfuchtelt. Ein Unruhestifter ist auch der englische Fotograf und Maler Russell Haswell: Seine Spezialität ist das Übersingen bekannter Songs aus der Hitparade. Mit dem Mikrofon ahmt Haswell die Songs allerdings nicht als niedliche Karaoke-Versionen nach, sondern zersetzt sie in lähmende Pop-Purgatorien der Marke Gute-Nacht-schöne-Welt. Als DJ für Hamburg ist der Finne Vladislav Delay gemeldet, manche kennen ihn unter seinem stromlinienförmigen House-Alias Luomo.

Magische Anziehungskraft („Magic Buzz“) übte Warp bereits seit seiner Gründung 1989 aus. Damals pressten die beiden Plattenverkäufer Rob Mitchell und Steve Beckett in Sheffield elektronische Musik auf Platte, die bei ihnen an der Ladentheke von Kunden als Demo abgegeben wurde. „Das Energie-Level, mit dem unsere Künstler die Grenzbereiche der Kreativität verschieben, ist geblieben“, vergleicht Labelgründer Beckett Einst und Jetzt. Aber die Werkzeuge der Musiker haben sich verändert. Heute schreiben die meisten Warp-Künstler ihre eigene Software. Aus der Software wird Musik, während sie Tee trinken und dabei zusehen, was die Software mit der Musik anstellt. „Magische Anziehungskraft übt auf mich immer aus, wer als Künstler durch seine Eigenwilligkeit dazu beiträgt, dass die Erde wieder ein besserer Ort wird.“

mit DJ Luke Vibert, DJ Richard Devine, Phoenecia, und DJ Chris Clarke: Mittwoch, 8.5., 22 Uhr, Phonodrome

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