: Unser Onkel Fritz
Die ARD zeigt zum Vatertag die Dokumentation „Harald Juhnke – bis zum letzten Tropfen“ (Do., 22.15 Uhr, ARD), in der Tilman Jens die Wahlverwandtschaft zwischen Suff und Medien untersucht. Darin gibt der Sender sich bisweilen recht selbstkritisch
von ANNETTE KLINKHARDT
Ob das Absicht ist? Ausgerechnet am Vatertag sendet die ARD Tilman Jens’ Porträt „Harald Juhnke – bis zum letzten Tropfen“. An dem Tag, an dem sich all die Schlüpferstürmer, kleinen Feiglinge und Johnny Walkers wieder in den Armen liegen und sich gegenseitig versichern, dass sie die Besten sind.
Der Porträtierte selbst dürfte davon nichts mehr mitkriegen. Denn am 10. Juli vor zwei Jahren ist Harry Heinz Herbert Juhnke, der so gerne Frank Sinatra gewesen wäre, in einer „schäbigen Tingeltangelbar abgestürzt – für immer“. So kommentiert es der Sprecher in einer der pathetischen Anwandlungen des ansonsten bemerkenswert sparsam und zurückhaltend inszenierten Films. Im Katharinenhof, einem Pflegeheim östlich von Berlin, lebt der 72-Jährige heute in einer Zwischenwelt – entmündigt und fest davon überzeugt, er befinde sich mitten in Dreharbeiten.
Filme gemacht hat er viele in den 50 Jahren seiner Karriere, aus denen die Ausschnitte und Interviewschnipsel stammen. „Jede Familie hat doch ihren Onkel Fritz“, sagt Juhnke da einmal, „der Weibergeschichten hat und zu viel säuft. Aber die Familie liebt ihn.“ Der Onkel Fritz der deutschen Medien, das war der Entertainer tatsächlich, aber statt um Liebe ging es hier um ein knallhart kalkuliertes Tauschgeschäft: Du lieferst uns deine Abstürze, und wir erhöhen deinen Marktwert. Bis zur letzten Homestory der Bunten, der Heimstory aus dem Katharinenhof. „Das war die finale Geschichte Harald Juhnkes“, bilanziert der Manager Peter Wolf nüchtern das Ende seiner langjährigen Cash-Cow. 250.000 Mark sollen vergangenen Dezember für die rührselige Geschichte geflossen sein mit den Fotos, auf denen Juhnke einen Teddybären im Arm hält. Auch die Neue Revue wollte sich die schönen Bilder eines am Korsakow-Syndrom leidenden Juhnke nicht entgehen lassen und fotografierte ihn heimlich, „schoss ihn ab“, wie man so schön auf Pressedeutsch sagt. „Ein Mann, der sein Leben lang in der Öffentlichkeit gelebt hat, für den ist nicht eine einzige intime Ecke in seinem Leben da“, konstatiert Neue-Revue-Chef Peter Bartels, früherer Juhnke-Spezialist bei Bild, trocken.
Tatsächlich war es ein Spiel zwischen Juhnke, den Medien und dem Publikum. Nur dass der Alkoholismus eben doch kein lustiger roter Gummiball ist, sondern sich für Juhnke als Bumerang erwiesen hat. „Man muss im Gespräch bleiben“, sagt Manager Wolf. „Hochzeiten sind natürlich schöner, aber man heiratet ja nur einmal im Leben.“ Oder man heißt Klaus-Jürgen Wussow, aber das ist eine andere Geschichte. Der Fall Juhnke zeigt bilderbuchhaft, wie man hierzulande mit Alkoholismus umgeht: Nachdem Juhnke 1997 in Los Angeles im Suff einen Wachmann als „dreckigen Nigger“ beleidigt hatte, der „unter Hitler vergast“ worden wäre, feuerte ihn die ARD vier Wochen vor Drehbeginn. Juhnke entschuldigte sich per Satellit aus der Karibik mit der für ihn typischen Mischung aus Lausejunge und reumütigem Ehemann, und prompt hatte er die Rolle des „Hauptmanns von Köpenick“ wieder.
Der Mann mit dem Seitenscheitel kokettierte mit seiner Sucht. Und davon profitierten alle Seiten. Auch die ARD, die ihn Hans Falladas „Trinker“ spielen ließ – und in der Doku nun Weggefährten zu Wort kommen lässt, die das sehr kritisch kommentieren. „Harald Juhnke wurde benutzt“, sagt der ehemalige ZDF-Unterhaltungschef Peter Gerlach und findet das einfach „rücksichtslos“.
Doch wer benutzte da eigentlich wen? Juhnke machte augenzwinkernd Werbespots für Müllermilch, rief im Suff bei Bild an, um seine Storys loszuwerden und thematisierte seine Abstürze in Chansons und Sketchen. „Du sollst so bleiben, wie du bist“, sang Dagmar Koller zu seinem 70. Geburtstag. Das hat er getan.
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