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Der Letzte seiner Zunft

■ In Gröpelingen steht die einzige Fassfabrik Norddeutschlands. Die Zeiten sind verdammt schwer. Alfred Krogemann böttchert trotzdem tapfer weiter

Strahlend blau ist der Himmel über dem Industriehafen in Gröpelingen, silbern glänzende Silos reflektieren die Frühlingssonne. Lkws rasen mit lautem Scheppern an den riesigen Lagerhallen vorbei, die Schlote der Fabriken spucken ihre Abgase in die frische Frühlingsluft.

Auch aus dem kleinen Schornstein der Fassfabrik von Alfred Krogemann steigt Rauch empor. Neben den riesigen roten Hafenspeichern und der Stahlfabrik wirkt das kleine beige Flachdachgebäude sehr einsam.

Die Werkstatt ist schmutzig. Haufenweise bedecken Holzspäne den Boden, neben zwei rostigen Lampen hängen Zentimeter lange Spinnweben von der Decke. Eine Fügemaschine aus dem Jahre 1938 steht links im Raum, in der rechten vorderen Ecke baut sich ein riesiger verrußter Kochkessel auf.

„Im Großen und Ganzen hat sich der Betrieb in den letzten 50 Jahren nicht verändert“, sagt Alfred Krogemann. In den 80ern hatte der 59-jährige Bremer die Fabrik von seinem Vater, einem Böttchermeister, übernommen. Er selbst ist gelernter Maurer und Bauingenieur, doch auch das Böttcherhandwerk kennt er gut: „Ich bin im Betrieb aufgewachsen“, sagt Krogemann mit Stolz in der Stimme. Und fügt hinzu, dass das Böttchern ein schweres Handwerk sei. Vielleicht ahnt er nicht, wie stark sein gekrümmter Gang diese Aussage unterstreicht.

Doch nicht nur die Arbeit der Böttcher ist schwer, die heutigen Zeiten sind es auch. „Nur die Spitzenweine lagern noch in Holzfässern“, bedauert Krogemann. Ansonsten wird sein Produkt immer seltener benötigt. „Transport in Holzfässern gibt es nicht mehr“, sagt er. Wer seinen ernsten Gesichtsausdruck dabei sieht, spürt sofort, dass den Böttchern damit eine wichtige Einnahmequelle verloren gegangen ist. Früher bereiteten die Böttcher diese Transportfässer auf und verkauften sie vornehmlich außerhalb der Weinsaison, wenn keine neuen Fässer gebraucht werden. Noch 1985 standen Pyramiden von Holzfässern auf dem Gelände hinter der Fabrik. „5000 bis 6000“, schwärmt Krogemann. Seitdem der Wein direkt in Flaschen umgefüllt wird, stapeln sich anstatt Holzfässern nur noch blaue Plastik- und bunte Metalltonnen aus Spanien, Brasilien und Pakistan auf dem Fabrikgelände. Auch damit verdient Krogemann Geld – aber viel ist es offensichtlich nicht.

Mit den Transportfässern gingen auch viele Böttchereien. Nach dem Krieg gab es in Bremen noch zehn Betriebe mit mehr als einhundert Gesellen. Heute ist Krogemanns Fabrik die letzte in Norddeutschland.

Immerhin hat ihn das bekannt gemacht. Stolz erzählt er, dass schon Fernseh- und Radiosender bei ihm gewesen seien, um über seine Fabrik zu berichten. Und auch bei der Bremer Handwerkskammer scheint der kahlköpfige, freundliche Mann eine besondere Stellung zu genießen. Vor 17 Jahren erteilte sie ihm eine Sondergenehmigung, die ihn berechtigt, das seltene Handwerk an Lehrlinge weiterzugeben – dabei hat Krogemann selbst nie eine Böttcherausbildung absolviert. Auch der 21-jährige Philipp Skerra lernte bei Alfred Krogemann. 1996 begann er die Ausbildung – damals war er der einzige Böttcher-Lehrling Deutschlands. „Ich habe mich damals gezielt nach aussterbenden Berufen umgesehen“, sagt der junge Mann aus Halle. Heute stellt er sogar aus: Einmal im Jahr sind Skerras Werke auf der „Burg Brome“, einem Heimatmuseum bei Gifhorn in der Lüneburger Heide, zu besichtigen.

Alfred Krogemann weiß das zu schätzen – mit neuem Nachwuchs ist so schnell nicht zu rechnen. Vor drei bis vier Jahren hätte es noch Bewerbungen gegeben. Heute – Fehlanzeige.

Anders Christoph Krogemann. Gerne hätte der 19-jährige Sohn des Böttchers eine Ausbildung in Gröpelingen begonnen – aber der Vater war dagegen. „Die Abhängigkeit von den Weinernten ist zu groß. Je schlechter die Ernte, desto schlechter ist unsere Lage“, sagt Krogemann. Und riet seinem Christoph, etwas „Solides“ zu lernen. Zum Beispiel Tischler. Krogemann: „Dann können wir uns demnächst mit Verkauf von Möbeln über Wasser halten.“ Michèl Dallasera

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