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Nach 29 Jahren „endlich ein Individuum“

■ Der Chordirektor Theo Wiedebusch und seine Frau, die Chorsängerin Christiane Wiedebusch, verlassen nach 29 Jahren das Bremer Theater: eine Bilanz und ein Rückblick und zweimal neue Zukunftsträume

Mit Ende der Spielzeit verlässt Theo Wiedebusch das Bremer Theater: 29 Jahre lang hat er den Chor des Bremer Theaters geleitet, eine Institution in Bremen. Auf 180 Inszenierungen und 140 verschiedene Opern blickt er heute zurück und wir erinnern uns an fantastische und lustvolle Chorleistungen. Auch seine Frau, die Chorsängerin Christiane Wiedebusch, verlässt jetzt das Bremer Theater. Mit der taz sprachen die beiden über ihre Erfahrungen und ihre Zukunftsläne.

taz: Man kann ja davon ausgehen, dass die meisten Sänger eigentlich Solisten werden wollen aber dann doch im Chor landen. Ergeben sich daraus psychologische Probleme?

Theo Wiedebusch: Ja. Aber die Probleme liegen tiefer: Die Lehrer versprechen zu viel. Wenn sie die Wahrheit sagen, wechseln die Schüler.

Christiane Wiedebusch: Es ist aber auch ein absolut sicherer Arbeitsplatz. Und deshalb sind viele dort auch glücklich.

So weit ich weiß, gibt es an jeder Musikhochschule eine Orchesterklasse, aber nicht unbedingt eine Chorklasse... ?

Theo Wiedebusch: Nur in Hannover. Aber das ist kein Erfolg geworden, in Deutschland will wirklich jeder Solist werden. Dabei verdienen mehr als die Hälfte der Solisten weniger als die Chorsänger.

Was kritisieren Sie an der Gesangsausbildung der deutschen Musikhochschulen?

Theo Wiedebusch: Es ist zu wenig Zeit für das Hauptfach. In Salzburg hatte ich fünf Stunden pro Woche à sechzig Minuten. Außerdem gibt es hier zu wenig Gespür für den eigenen Körper und die eigene Stimme. Ich kann nur jedem sagen: Wenn man nur ein einziges Mal heiser aus einer Gesangsstunde kommt, dann nichts wie weg. Es fehlt auch der dramatische Unterricht. Unterm Strich: Nach der Hochschule muss man hier neu anfangen ...

Durch die Tarif- und Arbeitsverträge haben ChorsängerInnen kaum Chancen, langfristig eigene Soloprojekte zu erarbeiten, weil es keine Befreiung gibt. Das hieße, dass der Chorsänger überhaupt keine Chance hat, sich weiterzubilden. Stimmt das?

Theo Wiedebusch: Das muss man in Kauf nehmen, dafür hat man aber Sicherheit. Wir in Bremen gehen damit allerdings anders um: Wenn es ein gutes Projekt für den Sänger ist, kann er es machen, muss dann aber auf seine Kosten für Ersatz sorgen.

Frau Wiedebusch, Sie und Ihr Mann haben einen gemeinsamen Beruf. Ist das Theater bei Ihnen ständig zu Hause? Gibt es Probleme vielleicht auch im Chor?

Theo Wiedebusch: Da geh' ich jetzt am besten mal raus ....

Christiane Wiedebusch: Ich behalte vieles für mich. Im Chor war ich immer mitten drin und habe viel gehört, was ich zu Hause besser nicht erzählt habe. Aber sachliche Diskussionen haben wir schon kontrovers geführt.

Wie ist das bei sperrigen, fordernden Inszenierungen?

Theo Wiedebusch: Wenn der Regisseur ein Konzept hat, machen alle mit. Je größer die Anforderung, desto mehr wird gearbeitet und desto besser ist das Ergebnis. Generell gilt aber, wir haben immer zu wenig Zeit für die klangliche Arbeit. Chordirektoren haben keinen hohen Stellenwert, viele sind auch verhinderte Kapellmeister, die vom Zusammenschweißen von Stimmen keine Ahnung haben. Das merkt man dann, wenn es in den Probenkritiken nur ein „zu laut/zu leise, zu hoch/zu tief und zu langsam/zu schnell“ gibt. Das hat mit Singen nichts zu tun.

Sind Sie bei den szenischen Proben immer dabei und welche Rolle spielen Sie dann für den Regisseur?

Theo Wiedebusch: Ja, bis das Stück durchgestellt ist. Wenn musikalische Anteile verdrängt werden, muss man warnen, manchmal mit, manchmal ohne Erfolg.

Christiane Wiedebusch: Das Schwerste, das wir je gesungen haben, war „Intolleranza“. Aber es waren so total effektive Proben mit dem Dirigenten Gabriel Feltz.

Herr Wiedebusch, Sie sind viel als Begleiter in Liederabenden aufgetreten. Welchen Stellenwert hatte und hat das für Sie?

Theo Wiedebusch: Einen hohen, denn da bin ich nur für mich selbst verantwortlich. Ich will das jetzt auch mehr machen.

Würden Sie beide Ihren Beruf noch einmal ergreifen?

Christiane Wiedebusch: Unbedingt. Ich würde mich immer wieder für den Gesang entscheiden...

Theo Wiedebusch: Ich wäre, glaube ich, lieber Liedbegleiter geworden, so ein Gerald Moore...

Auf was freuen Sie sich jetzt am meisten?

Christiane Wiedebusch: Endlich ein Individuum sein...

Theo Wiedebusch: Kammermusik machen....

Verraten Sie uns zum Schluss Ihre Lieblingsopern....

Theo Wiedebusch: Parsifal.

Christiane Wiedebusch: Don Carlos.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

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