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Das Froschbuffet ist angerichtet

Brandenburg weiß seine Natur medienwirksam zu vermarkten. Auf der „Ersten langen Nacht der Frösche“ geht es grün her. Von Erdkröte über Teichmolch bis Froschkönig ist jedwede Amphibie vertreten. Was unter normalen Bedingungen nur der gedeckte Tisch des Storches ist, ist eine Nacht lang Star

Das „Oäck-oäck-oäck“ von „Bufo bufo“ passt zum „Ärr-ärr-ärr“ von „Bufo calamita“Dazu kommt als Bass das „Uh-uh-uh“ von „Bombina bombina“

von WALTRAUD SCHWAB

„Lange Nächte“ sind aus der Kreuzberger Eckkneipenwelt entlassen und zum Partizipationsevent mutiert. Einem, das hebt, wenn es schon nicht bildet. Mit der Langen Nacht der Museen fing es an. Schnell wurde das ein Hit und mannigfaltig kopiert: Lange Nächte der Bücher, der Wissenschaften, der Schlösser kamen hinzu und kürzlich gab es in Berlin sogar jene der Frauen. Neuester Höhepunkt in Brandenburg: Die „Erste lange Nacht der Frösche“. Denn erst in der Dunkelheit entfalten die Amphibien ihren vollen Unterhaltungswert. In dieser einen Nacht heißt es im Storchendorf Rühstädt: „Alles ist Frosch“.

Manche Leute sind „ganz für Störche eingestellt“, sagt ein Flaneur der Froschnacht. Schließlich sind sie ein Touristenmagnet. In Rühstädt, das im „Biospärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg“ in der Prignitz liegt, ist auf fast jedem Dach ein Horst. Absoluter Nistrekord vor zwei Jahren: 44 Brutpaare. Letztes Jahr waren es 36. Dieses Jahr sind es auch schon so viele und noch seien nicht alle da. Hierher in die Elbauen kommen sie, weil es ihr Schlaraffenland ist. Mit ihren langen Beinen staksen sie durch die Tümpel, Teiche, Bäche, Weiher, Sölle und Nebenflüsse der Elbe. Für den Storch ist das Froschbuffet eröffnet.

Die erste lange Nacht der Frösche wird zum Volksfest im Besucherzentrum der Naturwacht. Einmal sich mit Neugier und Mitgefühl um das kümmern, was sonst frech verschlungen wird. Froschkonzerte, Lurchis Kinderstube, Froschkönig und die Eitelkeit der Molche werden geboten, dazu gibt es alles in Grün sowie das gesampelte, gesammelte Quaken.

Alle stürzten sich auf die Störche, sagt die Naturwächterin Kathrin Heinke, sie habe sich deshalb dem Frosch zuwandt. So klein, so glitschig, so laut. In dieser Nacht schleppt sie die Neugierigen in den Schlosspark von Rühstädt. Ehemals ein großer barocker Garten, den sich die Natur zurückgeholt hat. Weil die Quitzows und Jagows, die hier residierten, aber was hermachten, haben sie fremde Bäume importiert, die nun mitten auf feuchten Wiesen stehen umgeben von Hahnenfuß, Kerbel und Giersch. „Da der Lebensbaum, dort ein Mammutbaum“, zeigt Heinke. Die nadeligen, fingrigen Blattflächen des einen wirken wie herabhängende Hände, die im Wind über das Haar der darunter Weilenden streichen, und der Mammutbaum könne 3.000 Jahre alt werden, erklärt sie. Die Leidenschaft der Naturwächterin allerdings gilt dem, was zu hören ist. „Eine Nachtigall, ein Zaunkönig“ – bevor sie die Truppe zum Schweigen bringt, sind die Vögel verschwunden. Sie hätte den Neugierigen den Gesang so gerne geschenkt, begeistert weitergegeben, was ihr selbst gefällt. Nun versucht sie es mit ihren Lieblingstieren, die die Evolution hat stehen lassen zwischen Wasser und Land.

Mit ihrem Käscher stochert sie in den Teichen im Park, zieht eine Tellerschnecke, einen Egel in Miniatur und Brutstätten von Insekten heraus. Bei jedem Schritt aber springen aufgescheuchte Frösche und Kröten vor den Füßen auf. Die Kinder fangen sie ein. Noch unschlüssig, ob sie sich ihrer Geschicklichkeit brüsten oder sich ekeln sollen, bringen sie sie zu Heinke. Diese gibt den Viechern Namen, nennt sie Kreuzkröte oder Teichfrosch, zeigt gepunktete Unterbäuche, gestrichelte Rücken, verweist auf muskulöse Krötenoberarme, mit denen sie sich an Weibchen festklammern. Die Naturführerin weiß von schaurigen Ertrinkensszenarien zu berichten, wenn zu viele Männchen sich auf ein Weibchen stürzen und von fantastischen Farbenwechseln ins Blaue, wenn Moorfroschmänner in Wallung kommen. Ihre Vorliebe allerdings gilt dem Quaken. Zwölf Amphibienarten gibt es im Bioreservat. Sie kann sie an ihrem Unken erkennen. Mitten im dissonanten, erdigen Gekreisch der Frösche sagt sie: „Wenn sie leise sind, können sie die Knoblauchkröte hören.“ Sie klänge hölzern. Wie wenn jemand anklopft. Das Tier weigert sich. Zu viel Besuch aus Berlin.

Was für Orchesterliebhaber der Einsatz der Waldhörner oder der Bratschen sein mag, ist für sie das Blubbern des Moorfroschs, „wie wenn eine leere Flasche unter Wasser gehalten wird“, das „Unterwasserglockengeläut“ der Rotbauchunke, das Keckern des Seefroschs oder das Knurren des Grasfroschs. „Ich kenn bloß meinen Hund, der knurrt“, sagt ein Berliner, der sich in die Natur verirrt hat, und sich nun auf den Rückweg in das Besucherzentrum macht, dort wo es normale Froschunterhaltung gibt. Im Kaulquappenfilm werde niemand angesprungen und Stechmücken kämen da auch nicht vor. Dazu gibt es Märchen und Lagerfeuer, verkleidete Männer und geschminkte Kinder, Wetterfrösche und zwischendurch immer wieder einen Ausflug ins nächtliche Froschkonzert: Das Oäck-oäck-oäck von „Bufo bufo“ fügt sich melodisch in das Ärr-ärr-ärr von „Bufo calamita“ ein. Dazu als Bass das Uh-uh-uh von „Bombina bombina“. Im Medienraum ist alles auf Tonträger, CD-ROM und im Farbtiefdruck erhältlich. Vergrößert, aufgeschlüsselt in Frequenzen, gar nicht feucht, wabblig und weich. An die Wand geworfen werden muss der Frosch längst nicht mehr, damit er erlöst wird.

„Sei kein Frosch“, mault ein Kind, das von seinem Vater den dritten Teller Grüne Grütze mit Vanillesoße haben will. Er sähe es lieber, wenn sich seine Tochter für Sauerampfersuppe oder Brennnesselpfannkuchen interessierte. Selbst trinkt er „Grüne Wiese“ mit Sekt. Ausgeschieden bei der Wahl zum „Mister Frosch“ ist er bereits. Hauptpreis: eine Nacht im Schloss.

Am Ende passiert, was immer passiert, sobald das Buffet abgeräumt ist: Die Stars treten erneut in den Mittelpunkt. Hier sind es die Störche. „Der älteste Rühstädter Adebar ist 27. Ein echter Haudegen. Noch immer brutfähig“, erzählt der Naturwächter Jürgen Herper, der vorher noch schnell den Vater der Froschkönigbraut „up Platt“ gespielt hat. „Etwa 30 Jahre alt kann ein Storch werden.“ Dann erzählt er, welche Sorgen sie sich dieses Jahr machen mussten. Der erste „Westzieher“ sei zwar pünktlich am 3. März gekommen, aber die „Ostzieher“ seien ausgeblieben, „Wir fürchteten Schlimmes“, erzählt der Naturwächter. In der Türkei und Rumänien kamen die Vögel nicht weiter wegen zu kalter Witterung. „Wenn ich so was höre, stelle ich mir vor, ich säße an einem Flughafen fest. Wegen Schneesturm“, sagt ein Berliner. „Aber Horst, deshalb fahren wir doch hierher, damit uns das nicht passiert“, wendet seine Frau ein. „Musst du dich überall einmischen“, fragt der Mann zurück. Schließlich ist das hier ein Event und man wollte ins Gespräch kommen.

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