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Eine Abfallgeschichte

Ist der Mensch eigentlich noch der Souverän über seinen Müll? Diese und noch andere Fragen klärt der Band „Sammeln – Ausstellen – Wegwerfen“

von ELKE BRUENS

Der Moment ist da. Der Teller in der Hand. Wegwerfen oder behalten? Wird er zu Müll oder bleibt er einfach, wo er ist? „Bring den Vorschlaghammer mit, der ganze Schrott muss raus“ raten Element of Crime. Robuste Naturen neigen zum Befreiungsschlag: Weg mit dem ganzen Ballast! Empfindlichere Geister befürchten, das Zertrümmern ehemals geliebter Objekte hinterlasse feine Risse in der Seele. Ausmisten als kleines Psychodrama wiederholt in nuce den Prozess, in dem Kultur sich selbst zur Anschauung bringt: „Sammeln, Ausstellen, Wegwerfen“ sind, wie die Herausgeberinnen des gleichnamigen Bandes schreiben, „Prozesse der Auf-, Um- und Entwertung von Dingen, die sich als Manifestationen kultureller Wertschätzungen lesen lassen.“ Was so schön systematisch scheint, ist es mitnichten. So kann gerade Sammeln das begehrte Objekt entwerten, geht in Sammlung doch dessen Einzigartigkeit verloren. Eigentlich, bemerkte Walter Benjamin, sei der Sammler blind: Gibt sich der Flaneur der „Augenlust“ hin, die nicht(s) besitzen will, will der Sammler das Objekt dingfest machen.

Entwertung und Bewertung liegen dabei eng beieinander: Was den einen des Aufhebens nicht wert, danach bücken sich die anderen. Agnès Vardas Film „Die Sammler und die Sammlerin“ zeigt, wie über Abfall und Müll auch menschlicher Wert verhandelt wird. Ernährt sich ein Obdachloser aus Mülltonnen, laboriert er an der Grenze zu Schmutz, Unnützem, Dreck, provoziert Abwehr und Ekel. Er repräsentiert das sozial Verworfene, denn Wegwerfen und Sammeln wird in der „Moderne als Abfallmoderne“ (Manfred Faßler) zur Statusfrage des Menschen. Da Subjektivität im Umgang mit Objekten entsteht, stellt sich die Frage, was geschieht, wenn möglichst viele Dinge möglichst schnell nach Benutzung weggeworfen werden. Die Antwort liegt auf der Hand desjenigen, der sich von etwas trennt: Wer wegwirft, ist nicht das Weggeworfene!

Entsprechend liegt Kultur buchstäblich im Dreck. Der Archäologe Kent Weeks stößt, als er siebzig Jahre nach der Entdeckung des Grabes Tutanchamuns im ägyptischen Tal der Könige die angrenzenden Grabkammern öffnete, nicht mehr auf Gold, sondern auf Abwassersysteme. Ob er was sieht? Antwort: „Ja, Scheiße.“ Ein schöner Fund, lässt sich doch anhand des Mülls der altägyptische Alltag rekonstruieren – Wissenschaft ist eben mehr als „eine Übung im Bewegen von Dreck“.

Kultur liegt im Müll der Geschichte. Aber auch dort, wo es blitzblank zuging, in der holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts, sangen Maler wie Adriaen van Ostade im neuen Sujet, das Müll und Gerümpel in Scheunen und Küchen abbildete, ein Lob auf die Liederlichkeit. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiten Künstler dann vermehrt mit Schrott und Müll – eine ganze Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ließe sich als Abfallgeschichte schreiben.

Zwar fungieren Wissenschaftler und Künstler so als Müll-Hermeneutiker des kulturellen Gedächtnisses; wie dieses sich in Medien und Archiven gestaltet, hängt indes nicht nur von den ausgewählten Exponaten, sondern auch von der Präsentation ab. Die Ausstellungskultur entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr zum Event und kulminiert schließlich in der Hyperrealität. Schon die Höhlen von Lascaux wurden ob ihrer Gefährdung durch die Touristenmassen detailgetreu nachgebaut. Durch diese Verdoppelung wirken nun beide künstlich. Umberto Eco bemerkte in amerikanischen Museen, die ihre historischen Bestände durch Reproduktionen ergänzen, dass Original und Fälschung in der Wahrnehmung verschmelzen, obwohl die Erklärungen den Status der Exponate säuberlich trennen. In Disneyland hält man sich mit solchen Finessen nicht mehr auf, sondern verkauft stolz Meisterwerke der Fälschung: Hyperrealität, „realer“ als die Wirklichkeit, befriedigt die Sehnsucht nach dem Wahren und Echten.

Ausgestellt wird solchermaßen das Imaginäre selbst, der reine Fantasiebezug. Hier wird Sammeln, Ausstellen und Wegwerfen zur Frage nach den letzten Dingen. Ob der Mensch sich als Souverän über den Müll sein noch vorhandenes Dasein garantiert oder sich mittels gehorteter Schätze die Vergangenheit gegenwärtig hält, der Tod lässt sich nicht wegwerfen und gegen ihn ansammeln ist nur kurzfristig von Erfolg gekrönt. Deshalb bilden nicht nur wir uns in den Museen, sondern wir bilden auch die Toten. Die Toten sind, schrieb Sigmund Freud, mächtige Herrscher. Wir müssen sie in unser symbolisches Register einfügen, ihnen einen Ort (in) der Erinnerung schaffen – eine ritualisierte Übertragung, die den fremden anderen, die der Tote ist, zähmt.

Dabei entstehen Fiktionen der Vergangenheit, und man sieht Dinge, die nicht da sind: Freuds berühmte Couch zum Beispiel befindet sich zwar in London, „steht“ aber irgendwie auch im Wiener Freud-Haus. Und auch der „Teller aus Florenz“, den Element of Crime zerdeppern wollen, steht ja nach mehrmaligen Hören der CD auf einmal im eigenen Psychohaushalt. Wenn im Imaginären also sowieso die schönste Unordnung herrscht, kann man der nächsten Entrümpelungsaktion eigentlich gelassen entgegensehen.

Gisela Ecker, Martina Stange, Ulrike Vedder (Hg.): „Sammeln – Ausstellen – Wegwerfen“. Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2001, 304 Seiten, 22,90 €

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