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Unangemessene Vorwürfe

betr.: „Aufschlussreiches Schweigen“ von Eberhard Seidel, „Ich schäme mich für meine Partei“ (Hildegard Hamm-Brücher), taz vom 13. 5. 02

Es ist gut möglich, dass es in der FDP antisemitische Tendenzen gibt – vielleicht mehr als in vergleichbaren Parteien. Ob die FDP bewusst damit spielt, wie Eberhard Seidel meint – na, ja! Dass er als Kronzeugin für seine Thesen allerdings ausgerechnet die „große alte Dame“ Hildegard Hamm-Brücher anführt, kann ich mir nur so erklären, dass er ihren Brief an die FDP nicht genau gelesen hat. In diesem kennzeichnet sie die Situation im Nahen Osten nämlich als „auf beiden Seiten grausam geführten Krieg für und gegen das Existenzrecht Israels“. Man möchte an einen Druckfehler glauben.

Hat nicht Arafats PLO schon 1988 dieses Existenzrecht Israels anerkannt? Und ist es nicht die Likud-Partei Scharons, die das Existenzrecht eines palästinensischen Staats gerade jetzt wieder abgelehnt hat, der Westbank also lediglich den Status einer (peu àpeu von Israelis weiter besiedelten) Halbkolonie zuerkennen will? Um wessen Existenzrecht geht es also heute vor allem?

Ich halte es für möglich, dass Äußerungen wie die von Frau Hamm-Brücher, die die Wirklichkeit auf die Bedürfnisse der gegenwärtigen Politik Israels hin uminterpretieren, dem latenten Antisemitismus auf Dauer mehr Auftrieb geben als, wie sie meint, die „antiisraelischen, einseitig propalästinensischen Positionen des Herrn Möllemann“. ANDREAS UNGER, Berlin

Der Ausspruch von Jamal Karsli ist unbedingt abzulehnen, und Möllemanns sicherlich unüberlegtes Bekenntnis zum Terrorismus ebenso.

Wenn aber Kritik an der gegenwärtigen Politik Israels bereits Antisemitismus ist, dann muss man die gesamte Friedensbewegung in Israel auch des Antisemitismus bezichtigen, ebenso die zunehmende Zahl israelischer Soldaten und Reservisten, die Dienst in den besetzten Gebieten verweigern, ebenso diejenigen Juden in Amerika, die sich für Frieden und Anerkennung eines Palästinenserstaates einsetzen.

Inzwischen wird in den USA jeder Zeitungsbericht über die Ereignisse in den Palästinensergebieten und sogar der stellvertretende Verteidigungsminister der USA, Paul Wolfowitz, politisch rechtsaußen stehender Jude, dessen Familie im Holocaust vernichtet wurde, des Antisemitismus bezichtigt; Letzterer, weil er in einer Rede erwähnte, dass „unschuldige Palästinenser auch in großen Mengen leiden und sterben“. (New York Times, 11. 5.)

Leider gibt es tatsächlich noch Antisemitismus genug – von NPD und Neonaziparolen bis hin zu Synagogenschändung –, der droht, in dieser aufgeheizten Atmosphäre salonfähig zu werden. Unangemessene Vorwürfe machen dagegen jegliche sachliche Auseinandersetzung, ohne die nie eine Lösung zustande kommen wird, völlig unmöglich. ANGELIKA SCHNEIDER, Lilienthal

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