piwik no script img

Bullen im Taubenschlag

Es ist schon ein Kreuz mit den Flyerverteilern, Abodrückern und Sektenwerbern, die unten an der Haustür klingeln. Ganz schlimm aber wird es, wenn sich die Zerstörer verzweifelter Existenzen heranschleichen. Ein Erlebnisbericht

Der Vollstreckungsbeamte ist ein Schlägertyp der unangenehmsten Sorte. Als es an der Tür klingelte, warf ich rein zufällig ein gedankenabwesendes „Wer ist da?“ oder „Ja bitte?“ oder etwas in der Art in die Gegensprechanlage. Normalerweise betätige ich einfach den Summer und so können Werbeprospekte, Abodrücker, Sektenwerber und andere ungehindert hinein. Das hat sich schon herumgesprochen, denn es kommt mir langsam vor, als würde nur bei mir geklingelt. Ich habe schon unauffällig den Klingelknopf auf Abnutzungserscheinungen untersucht, und tatsächlich scheint er weniger schwarz als die anderen.

Die Vormittage sind wie ein Taubenschlag und der Flur gleicht bereits einem Post- und Warenlager (Hermes-Versand von Otto, Quelle, etc.). Auf diesem Wege habe ich schon fast alle Mieter kennen gelernt, die dann gegen Abend mit kleinen blauen Zetteln vor der Tür stehen und sich bedanken. Wie gut, dass ich nie in diese peinliche Verlegenheit komme. Meine Nachbarn scheinen das zu ahnen, denn ich darf meine Päckchen immer bei der Aufbewahrungsstelle der Post abholen. Dabei hatten mich meine Eltern gewarnt! Der Siebzigerjahre-Bungalow meiner Kindheit in einem grünen Berliner Bezirk war frei geworden, als eine der dort wohnenden alten Damen von einem sich an der Tür als Handwerker ausgebenden Mann im Keller ermordet wurde. Die andere erlitt daraufhin einen Herzschlag. Die beiden Schwestern hatten das Haus erst vor kurzem im Lotto gewonnen. Dementsprechend günstig stand es dann zum Verkauf. Meine Eltern behaupten heute, sie hätten erst viel später von dem Mord erfahren. Wenn ich in dem gemütlich ausgebauten Keller stehe, suche ich die Stellen mit den Augen ab. Wo genau ist es wohl passiert?

In meiner Wohnung allerdings stelle ich zu dieser Geschichte keinerlei Zusammenhang her. Aber heute treibt mich eine unsichtbare Macht dazu, nachzufragen. „Finanzamt Kreuzberg. Machen Sie die Tür auf!“, bellt eine raue Stimme. Vor Schreck drücke ich den Summer. Ein fataler Automatismus. „Nein!“ blitzt es in meinem Hirn. In Hauspuschen und Handtuch um den Kopf stürme ich die Treppe hinunter. In der Tür steht ein Mann mit Werkzeugtasche und Brecheisen. Er wartet auf zwei andere.

„Wollen Sie zu mir?“, frage ich herausfordernd. „Oder haben Sie etwa nur bei mir geklingelt, um ins Haus zu kommen?“ Die Luft ist zum Schneiden dick, ein verängstigter Sonnenstrahl schleicht sich schnell wieder aus dem Eingangsbereich. Da schiebt sich der Vollstreckungsbeamte an dem Handwerker vorbei und ist mit raschen geschmeidigen Fitness-Studio-Schritten bei mir angelangt. Für Sekundenbruchteile hält er mir einen zerknitterten Lappen unter die Nase. „Die Person hat nicht auf unser Klingeln reagiert. Wir haben einen Vollstreckungsbefehl!“

Seine weiße Jeans ist fleckenlos. Auch die helle Windjacke und das Basecap über der sonnenstudiobraunen Gesichtshaut. Ganz unauffällig geben sie sich also, die Zerstörer verzweifelter Existenzen. Sie schleichen sich an, im Freizeitlook! Wie der letzte Idiot stehe ich auf dem braunen Linoleum der Treppenstufen und fühle mich schuldig. Ich war der Helfershelfer, ich habe diese verdammte Tür geöffnet.

Wieder oben ziehe ich die Kabel aus der Klingel und stelle mich matt ans Fenster. Zu wem wollten die eigentlich? Und um wie viel Geld geht es? Oder kommen die schon wegen 50 Euro vorbei? Und was für ein Mensch muss man sein, um in fremde Wohnungen zu gehen und den Leuten den Stuhl unterm Hintern wegzureißen? Ich gebe meinen Beobachtungsposten auf, ich will nicht zu denen gehören, die sich ihre Münder zerreißen und geifernd im Abseits flüstern. Aber ab jetzt werde ich ohne Türklingel leben. MAXI SICKERT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen