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Was tun, wenn’s hemmt?

Ruinen, Regenbogen, Stürme und rot glühende Sonnenuntergänge, aber mit fehlenden Teilen und ganz hart am Rande der Karikatur: Das NBK zeigt Landschaftsbilder des aus Bulgarien stammenden Künstlers Nedko Solakov

Reineke Fuchs hat Zahnschmerzen. Das sagt er zumindest beim Hasendoktor. Dann sperrt er das Maul weit auf, damit der Hase besser hineinschauen kann. Mit solchen Fabeln ist man aufgewachsen als Kind. Von Kunst war da nie die Rede.

Nedko Solakov ist so ein schlauer Fuchs. Wenn er ausstellt, kann man nie sicher sein, dass er nicht gerade auf Beutezug ist und nach sorglosen Betrachtern Ausschau hält. Aber auch mancher Kunstverein lässt sich ja ganz gerne fressen. Vielleicht gehört sogar der NBK dazu, der dem aus Bulgarien stammenden Solakov seine Räume für dessen groß angelegte Präsentation von Landschaftsbildern überlassen hat.

Denn mit dem schnell gemalten Postkarten-Dutzend, das er im Winter während eines Schweden-Stipendiums produziert hat, scheint Solakov dem „true spirit of german painting“ eins auswischen zu wollen. Zur Erinnerung: 1994 war eine gleichnamige Retrospektive in London zu sehen, bei der der Geist der Romantik von Caspar David Friedrich bis Joseph Beuys und Gerhard Richter als Beleg für den tiefen Grund deutscher Kunst beschworen wurde. Eine übermächtige Natur, die Versenkung ins menschliche Schicksal – das waren die Themen, die sich angeblich in jedem dunkel dräuenden Gewitter und in jeder Ruine am Wegesrand erhaben widerspiegelten.

Die Ruinen, den Sturm oder rot glühende Sonnenuntergänge am Meer findet man bei Solakov auch. Aber die Motive sind alles andere als melancholisch empfundene Seelenlandschaften. Eher denkt man an Karikaturen: Esoterisch blau leuchtet der Mond über weiß hingewischten Wellen, der von leuchtendem Orange umgebene Wanderer gleicht einem Wichtelmännchen, und die Bergspitzen, die „die ruhende Oberfläche eines Sees“ reflektieren sollen, erinnern an jugendlich verträumte Spielereien mit dem Tuschkasten – das ist abwaschfester Volkshochschulsurrealismus. Nein, die romantische Stimmung, einst Sinnbild deutscher Kunstgrübelei, ist komplett auf den Hund gekommen. Das weiß auch Solakov. Immerhin nennt er seine Bilder nicht ohne Hintergedanken „Romantic Landscapes with Missing Parts“, und hat als Ergänzung dazu an einer Ausstellungswand gleich das eigene Scheitern mit offen gelegt.

Dort liest man, dass die Versenkung für den sonst als Konzeptkünstler arbeitenden Solakov „eine sehr harte, schreckliche Zeit“ war: Ursprünglich zum klassischen Maler ausgebildet, musste er entnervt feststellen, dass ihm kein Bild nach Wunsch gelang. „In solchen Momenten hatte ich den großen Wunsch, meine Augen zu schließen und alles – Leinwände, Ölfarben, Pinsel, Staffelei und Palette – verschwinden zu lassen, damit ich mich wieder mit Ideen (hauptsächlich) beschäftigen könnte – eine (für mich jedenfalls) relativ einfache Art zu arbeiten.“

Was tun, wenn’s hemmt? Solakovs Antwort ist simpel und trickreich zugleich. Er gibt dem Betrachter einfach im Text vor, was auf den Bildern fehlt, und was dieser sich deshalb hinzudenken soll: Die Fischerboote, Mönche im Schnee und – das ist besonders wichtig – „die Konzentration des Künstlers bei der Arbeit“. Solchermaßen eingewiesen kann mit geübter Imaginationskraft nichts mehr schief gehen. Plötzlich ist jedes Bild ein Anlass, um über mögliche andere Bilder nachzudenken. Der Fallrückzieher funktioniert: Die Gemälde sind nur mehr Material der Auseinandersetzung mit Rezeptionsweisen, die sich jenseits aller behaupteten Inhalte in der Fantasie abspielen – das konkrete Bild ist da bloß Anreiz. Gilt diese Verschiebung nicht auch für die rostigen Stahlplatten der Minimal-Art eines Richard Serra? Sind am Ende selbst Ad Reinhardts schwarze Leinwände lediglich eine Ermunterung an das Sehen, etwas zu sehen, was nicht zu sehen ist?

In dieser Art negativer Dialektik ist Solakov einem gewieften Strategen wie Asger Jorn ähnlich, der Bilder vom Flohmarkt kaufte und den Ästhetikschrott durch große Übermalungen erst zur Kenntlichkeit entstellte.

Doch irgendwie war Solakov die sehphilosophische Unterweisung am Ende zu streng. Oder nicht überzeugend genug. Deshalb hat er die Parodie auf den Ernstfall weitergetrieben und seinen Genrebildern kleine Comicfiguren und kauzige Kommentare zur Seite gestellt. Direkt auf die Wände gekritzelt finden sich überall im NBK winzige Graffiti, die das Elend der Darstellung noch steigern. Mal geht es um Verbesserungsvorschläge für die missglückten Landschaften, mal steht neben einer ärmlichen Hütte der Satz „actually inside the house it was not cosy …“, und ohne jeden Zusammenhang kommt die Mahnung daher, „did you pay your taxes? properly?“.

Damit droht die Absatzbewegung von der heilig gesprochenen Romantik in Kalauer umzukippen, wird das Gegenmodell zum Status quo in Sachen Malerei und Meisterschaft im Nonsense aufgehoben. Am Ende bleibt Solakovs Kunst eine Frage des Rahmens. Bei seinen Bildern ist er aus gefälschtem Gold.

HARALD FRICKE

Bis 16. 6., Di–Fr 12–18 Uhr, Sa/So12–16 Uhr, Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128–129, Mitte

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