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Wie im richtigen Leben

Wenn die Kreisliga-Fußballer des TuS Norderney zum Auswärtsspiel fahren, geht da locker ein Tag bei drauf. Dafür haben sie die Gewissheit, bei ihren Gegnern nicht sonderlich beliebt zu sein

von Norderney DIRK KÄHLER

Es ist Sonntagmorgen und immer noch verdammt früh. Im Bauch der „Frisia IV“ sitzen die 13 Fußballer der Ersten Herren-Mannschaft des Turn- und Sportvereins Norderney. Vor den wackeren Gesellen liegt ein langer Tag – und ein Auswärtsspiel. Und deshalb ist Trainer Rolf Harms an diesem frühen Sonntagmorgen ganz besonders früh aufgestanden. Harms, das muss man vielleicht noch wissen, hat lange Jahre selbst in der „Ersten“ gespielt. „Der langsame Verteidiger“, so haben sie ihn an der Küste genannt. „Die haben immer über mich gelacht“, sagt Harms, „aber an mir vorbeigekommen sind sie selten.“ Dann grinst er.

Die Norderneyer Fußballer haben einen besonderen Status bei den Festländern. Einerseits wird ihre fußballerische Qualität anerkannt, immerhin war Norderney in den 50er-Jahren mal ostfriesischer Pokalsieger. Auf der anderen Seite sind Insulaner keine Ostfriesen, keine richtigen jedenfalls. Norderney, das ist das Staatsbad mit dem klangvollen Namen und den sprudelnden Tourismus-Einnahmen, auf das die strukturschwachen ostfriesischen Dörfer mal mit Neid, mal mit Verwunderung blicken. Zwischen den beiden liegt nicht nur Wasser, dazwischen liegen Welten.

Die Zeiten, in denen die Spieler sofort nach dem Spiel das Weite suchen mussten, sind zwar vorbei, Vorbehalte gegen die Insulaner gibt es aber immer noch. „Die Norderneyer haben eine große Klappe, das wird nicht immer gerne gesehen“, gibt Trainer Harms zu. Ostfriesen, von den Insulanern „Landys“ genannt, sind meist etwas zurückhaltender, da wird so etwas leicht als Arroganz ausgelegt. Kurzum: Beliebt sind die Insulaner nicht, und das bekommen sie manchmal auch zu spüren. Wenn das Schiff einmal Verspätung hat, vor allem im Winter ist das keine Seltenheit, kann es durchaus paassieren, dass man ihnen einfach keine Zeit zum Aufwärmen gibt. Die Gegner lassen da selten Gnade walten, und auch sonst geht so manches Foul auf das Konto dieser Rivalität.

An diesem Sonntag klappt es mit dem Schiff. Eine Stunde dauert die Überfahrt, der einzige Schlachtenbummler genehmigt sich schon mal ein Pils, und der Trainer hält seine Ansprache. Drei Punkte könne die Mannschaft heute holen – oder besser gesagt: sie müsse. Gemeckert werde gefälligst auch nicht, schon gar nicht mit dem Schiedsrichter. „Die haben Schaum vor dem Mund“, sagt Harms. Das ist das Schlusswort.

„Die“, das sind an diesem Sonntag die Fehntjer Fußballfreunde aus Behrumerfehn, kurz FFF, Drittletzter der Kreisliga Aurich-Emden. Noch einmal absteigen, dann geht es nicht mehr weiter runter. Norderneys Freistoßexperte Frank Bossmann liegt auf der Bank. Ihn plagen Rückenprobleme, eigentlich sollte er gar nicht spielen. Andererseits: Fehlen geht auch nicht, denn das größte Dilemma ist der Personalmangel. Auf Norderney gibt es ja sehr, sehr viele Freizeitangebote. Und wer geht schon Fußball spielen, wenn er Surfen, Skaten, Segeln oder sonst was kann? Problem Nummer zwei: die Abwanderung. Junge Männer im besten Erste-Herren-Alter verlassen die Insel. Bundeswehr, Zivildienst, Studium, Beruf – wer was anderes werden will als Handwerker oder Gastronomiefachkraft, muss meist aufs Festland. Diejenigen, die bleiben, haben Glück gehabt und einen passenden Job gefunden. Und wer die Mannschaft genauer kennt, wird feststellen, dass es in ihr eine merkwürdige Häufung von Sparkassen-Angestellten gibt. Eine „Zweite“ oder „Dritte“ Herren, auf die der Coach im Notfall zurückgreifen könnte, gibt es nicht.

Dafür bieten die Insel-Kicker ein recht buntes Bild. Torwart Edzard Pleines zum Beispiel sieht nicht so richtig wie einer aus, der in die Ecken fliegt. Dafür schafft er es meist, Zuschauer und Gegner damit zu überraschen, dass er dort schon steht, wo der Ball ins Tor will. Auch sonst begegnet er hektischen Situationen im Torraum mit innerer Einkehr. Ein großer Glücksfall für den TuS Norderney ist auch Jan Dorenbusch. Dorenbusch ist 31 Jahre alt, hat lange auswärts gelebt, in seinem Leben so gut wie nie Fußball gespielt und wollte einfach mal mittrainieren. Seit einem Jahr rennt und ackert er jetzt – und wird von Spiel zu Spiel besser. Dabei hatte er am Anfang überhaupt keine Ahnung von Fußball. „Ich glaube, er hat vorher Badminton gespielt“, sagt sein Trainer.

Eine komplette Mannschaft zu einem Auswärtsspiel zusammenzubekommen, ist eine logistische Meisterleistung, schon wegen des frühen Abfahrtstermins und des attraktiven Nachtlebens der Insel. Und wenn es ganz arg klemmt, greift Rolf Harms zum Telefon und startet einen Rundruf durch die gesamte Republik. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass es auch in Berlin klingelt, bei Till Gladow zum Beispiel. Der war mal als Zivildienstleistender auf der Insel und hatte sich als Torjäger schnell einen Namen gemacht. So einen lässt man nicht einfach gehen, sondern ruft ihn immer wieder an. Und so einer kommt natürlich, wenn es nur irgend geht. Auch in Oldenburg, Bochum und Bremen wohnen Spieler des TuS Norderney. Und für alle Fälle hat Rolf Harms immer eine Spieler-Montur dabei, man weiß ja nie.

Auf dem Festland geht es mit dem Bus nach Großheide, vorbei an schmucklosen Klinkerhäuschen. Gespielt wird auf der Anlage des Schulzentrums, auf dem Parkplatz davor tummeln sich auffällig viele Opel. Kein Vereinsheim, keine Trainerbank, dafür windschiefe Bäume und Nieselregen. Die Fehntjer Fußballfreunde hängen die Tornetze auf und ziehen ein paar Linien nach, dann geht es los. Schon in der zweiten Minute schießen die Insulaner das erste Tor, in der 18. das zweite. In der zweiten Halbzeit beginnt dann das, was der Trainer mit „Schaum vor dem Mund“ meinte: Fuß ja, Ball nein. Die Fehntjer fallen über die Norderneyer her. Da wird gerempelt, getreten und gespuckt. Den Festländern gelingt noch ein Treffer und die eine oder andere Blutgrätsche, dann ist Schluss. Die Bilanz: drei Punkte und keine ernsthaften Verletzungen. Geduscht wird zu Hause, der Bus wartet schon, denn heute ist ein guter Tag für die Norderneyer: Sie haben gewonnen und schaffen noch ein frühes Schiff. Beides klappt nun wirklich nicht immer. Trainer Rolf Harms sagt: „So wie sie beim Sport sind, so sind sie auch im richtigen Leben.“ Dann lacht er und bestellt eine Runde Bier.

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