: Keine billigen Tricks
Nach dem Aufstehen die Radio-Frequenzbänder auf verwendbares Material absuchen und daraus abgehangen swingenden Minimal Techno machen: Der Mikrosampler Marc Leclair alias Akufen ist am Freitag zu Gast in der Tanzhalle
von JULIAN WEBER
„Jetzt ist es wieder an der Zeit Risiken einzugehen und ein paar Gesetze zu brechen“, schreibt Marc Leclair in den Linernotes zu seinem Debut My Way unter dem Namen Akufen (erschienen bei Force Inc) und spricht damit auf das Umgehen bestehender Copyright-Bestimmungen und Sample-Vorschriften an. Denn, so findet er, aus der einstigen Kreativität um Sampling sei inzwischen ein Millionengeschäft geworden, bei dem es nur noch darum gehe, von anderen Musikkünstlern ganz offensichtlich die wiedererkennbaren Hooklines zu stehlen.
Dieser Grabräuber-Mentalität begegnet Leclair, Technoproduzent aus Montreal, mit einer Methode, die er Mikrosampling nennt und die in der Tat zu anderen künstlerischen Ergebnissen führt, was Melodien und Hooklines anbelangt: Wenn er morgens aufsteht, stellt Leclair als erstes seine beiden Radiogeräte an, surft über die Sendefrequenzen und sucht die Skala nach Signaltönen und Geräuschfetzen ab. Das ähnelt dem automatischen Suchlauf des Hi-Fi-Tuners, der kurz bei allen vernehmbaren Geräuschen auf dem Frequenzband anhält, bis die gewünschte Station exakt eingestellt ist. Nur hält Leclair die Schnappschüsse des Suchlaufs auf Samples fest. Er recyclet damit Sounds, die sich sonst in der unendlichen Weite des Äthers versenden würden und als Tondokumente für die Nachwelt verloren gingen.
Heute dient das Radio vielen Menschen als Nebenher-Medium. Es läuft als Geräuschteppich im Hintergrund. Leclair nutzt Radio hingegen als Primärquelle, weil er genau hört, welche dieser Hintergrundgeräusche für seinen Sound als Mosaiksteine genutzt werden können. Aus den Mosaiksteinen legt Leclair Loops. Der Kanadier verknüpft damit Auschnitte von Stimmen, Musikstücken, Kennjingles, ja sogar Tonstörungen zu einer ganz neuen, eigenartigen Collagenmusik. Das ist auch eine Antwort auf vorgefertigte elektronische Sounds und Computerprogramme, die seiner Meinung nach bei ihrer Benutzung zu den immer gleichen Ergebnissen führen. „Kreativität ist prätentiös“, findet Leclair. Er behält die Schnitte zwischen den einzelnen Radio-Samples bei, kommt so zu ruckartigen Melodiebögen. Dieses hektische Zappen entspricht dem gängigen Hörverhalten. Man könnte Akufens Musik demnach auch als Medienkunst bezeichnen, wäre da nicht der infektuöse Beat.
Leiten lässt sich Leclairs Microsampling-Prozession der Stimmen und Stimmungen vom strengen Puls des Minimal Techno. Durch den Kontrast mit der geraden Bassdrum, sparsam eingesetzten Dub-Effekten und gelegentlichen Keyboard-Tupfern werden die Radio-Samples beweglich, erhalten einen abgehangenen Swing. Bei aller ausgeklügelten Konstruktion: Akufens Musik klingt konsequent, organisch und gelassen. Sie ist rund. Vielleicht liegt das auch an Leclairs Außenseiter-Position.
Der Familienvater hört zuhause in Montreal am liebsten die leichte Musik von Henry Mancini, vergleicht seine Produktionsmethoden in Interviews schon mal mit surrealistischen Spielen um die Bedeutung von Worten und tritt bei DJ-Engagements gerne mit einem Tour-T-Shirt der amerikanischen Spätglamlegende Cheap Trick auf. „Hoffentlich samplen sich die Leute auch durch meine Collagen“, sagt Leclair, „denn darum geht es im Leben.“
Freitag, 22 Uhr, Tanzhalle St. Pauli
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