Klang und Kraft

■ Der Ausnahmepianist Pierre-Laurent Aimard spielte in der Glocke

„PianoVision“ heißt etwas poetisch die Reihe, die die private Agentur „Artepiano“ in Bremen aufziehen will. Ein erstes Konzert im vergangenen Jahr mit dem legendären kanadischen Pianisten Marc André Hamelin zeigte bereits das Problem: Wenn keine Sponsoren gefunden werden, sind solche Konzerte nicht durchführbar. Dabei geht es Wilfried Schäper wirklich um die „Vision“: Er ist ein Fan und Kenner von Klaviermusik und greift nicht auf das zurück, was auf dem Markt gerade in ist.

So auch am Mittwoch in der leider schlecht besuchten Glocke: Der 1957 geborene französische Pianist Pierr-Laurent Aimard hat einerseits unter KlavierkennerInnen einen Riesennamen, anderseits ist er einem größeren Publikum nicht allzu bekannt, weil sein Hauptarbeitsfeld zeitgenössische Musik ist. Er hat jahrelang mit Olivier Messiaen, mit Pierre Boulez im Ensemble Intercontemperain und mit György Kurtág zusammengearbeitet, sich aber auch wie Mauricio Pollini wieder jahrelang aus dem Betrieb zurückgezogen, um zu üben.

Aimard begann mit Franz Schuberts später Sonate in G-Dur – mit wunderbarem Klangsensualismus gespielt, aber nicht unbedingt seine Welt. In Aimard steckt viel zu viel explodierende Energie, als dass er die epischen und stillen Welten eines Schubert überzeugend gestalten könnte. Und doch entstanden auch hier Klangwelten, die man gut und gerne als spektakulär bezeichnen darf.

Zum Beispiel die selten gespielten „Douze Etudes“ von Claude Debussy. „Seine Position an der Schwelle der neuen Musik gleicht einem Pfeil, der einsam in die Höhe schießt“, hatte Pierre Boulez über die Musik von Debussy gesagt, und in diesem Sinne interpretierte Airmard die äußerlich rein technisch ausgestatteten, immens schweren Stücke.

Fantastisch diese Genauigkeit, die strukturelle Durchhörbarkeit, diese fast mikroskopische Klarheit von Hell- und Dunkelfarben, und allem voran diese kraftvolle Energie: Wie Airmard auf Höhepunkte zugeht, wie er sie hält und einteilt, das alles ist unvergleichlich gekonnt, in entsprechenden Momenten auch mit viel Humor und gleichzeitiger Distanz gespielt – wie zum Beispiel in der parodistischen Verbeugung vor dem Etudenaltmeister Czerny.

Zum Abschluss spielte Aimard wiederum „Brocken“ der neuen Klaviermusik: zwei der „Etudes de rhthme“ von Messiaen, in denen Messiaen und auch Aimard die explosiven Rhythmusgewalten der Welt der Papuas nachzeichnen. Von diesem Überdruck kam Aimard so schnell nicht mehr herunter und bescherte uns noch zwei gewaltige Zugaben, aus „Images“ von Debussy und den „Vingt Regards“ von Messiaen.

Der Zauber dieses Abends lag in der Homogenität sehr heterogener Elemente: Enorme Virtuosität, die zutiefst musikalisch und poetisch ist, Klangfarbenreichtum, der die akrobatischsten Abschnitte miteinbezieht. Der Beifall wollte kein Ende nehmen, und es ist zu wünschen, dass es Schäper gelingt, diese Reihe zu etablieren.

Ute Schalz-Laurenze