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Glühbirnen, Schalter und Platinen

Die Solo-Ausstellung „Monolith“ setzt nicht auf den einfachen Gegensatz zwischen Natur und Technik: Kerstin Stoll baut auf Kampnagel aus der Formalität der elektronischen Welt futuristische Kunstlandschaften

Wohl selten ist ein so rätselhafter und zugleich faszinierender Monolith, wie Kerstin Stolls gleichnamige Solo-Ausstellung betitelt ist, in den kx-Ausstellungshallen gelandet. Schwarz und mannshoch steht der Monolith unbeleuchtet wie ein unheimlicher Beobachter oder Besucher in einem weißen Raum, geschickt ausbalanciert, der Schwerkraft trotzend. Für die 33-jährige Hamburger Künstlerin stellt er einen Allwissenden aus einer anderen Welt dar, der sowohl Energie gibt als auch nimmt.

Ansonsten bilden Computerrelais, Schaltstationen, Platinen und Kabelstecker – das elektronische Innenleben der Computer- und Technikwelt – das Ausgangsmaterial für Stolls auf schwarzem Grund collagierte, mehr oder weniger figurative Formen. Bienenwaben und futuristische Landschaften aus Hochhäusern, Wolken und Straßenzügen lassen sich darin erkennen.

Und manchmal, wenn die Kabelschlaufen aus den organisierten Schaltplänen und Computerinnereien wie Palmenblätter oder Grashalme herauswachsen, gewinnt die starre Bildstruktur an organischer Form. Die versteckte Elektronik bildet die Grundlage unserer modernen Welt. Elektromagnetische Strahlung umgibt uns. Und der Kunstraum, in dem das alles nur collagiert, gemalt und aufgeklebt ist, scheint einer der letzten Schutzräume vor dieser unsichtbaren Herrschaft zu sein.

Aber halt: Eine rote Linie zieht sich wie ein Faden durch die Ausstellung, ganz real – bis zum Videoraum: Dort öffnet eine Pflanze im Zeitraffer ihre Blüten. Keine neue Idee, aber in all der Technikkälte eine angenehme Entspannung. Genauso wie die hohe fleischfressende Pflanze, die aussieht, als wäre sie nach einer Ölkatastrophe aus dem Meer gefischt worden. Technik und Natur als Gegensatz aufzufassen, sei ihr entschieden zu einfach, erklärt die Künstlerin. Viel lieber versteckt sie Anspielungen auf Filme wie Brazil, Little Shop of Horrors oder Der Mieter in ihren Arbeiten. Ansonsten lässt Stoll alle Assoziationen nach einem Wort ins Leere laufen.

Man muss schon in Stolls Monolith versinken – vor allem in das große Wandgemälde im ersten Raum –, um die Bilder sich bewegen und den auf die Wand gemalten Streifen Fahrstuhl fahren zu sehen. Im letzten Raum zeigt Stoll drei weiße Konsolen: ein Lüfter, ein Lämpchen, vier Schalter. Ich drücke einen der Schalter. Nichts passiert. Ach, du funktionssüchtige Welt.

Christian T. Schön

Do–So 15–19 Uhr, kx-Kampnagel; bis 16. Juni 2002

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