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Suspektes Hollywoodkino

Um 1982 muss es gewesen sein, als ich die Taschenbuchausgabe von Gregor/Patalas‘ Geschichte des Films 1895-1960 zu Weihnachten bekam und die Welt nicht mehr verstand, weil Vom Winde verweht darin nicht einmal erwähnt wurde. Das, so hatte ich immer wieder gehört, sei doch einer der ganz großen Klassiker der Filmgeschichte. Viele Oscars, überwältigender Kassenerfolg ... Später wurde mir klar, dass den beiden von Adorno/Horkheimers Diktum „Es gibt kein wahres Leben im Falschen“ beseelten Fimhistorikern Hollywood immer irgendwie suspekt war, zumal, wenn es so prunkvoll daherkam wie hier. Und ihre gerade frisch von den Franzosen abgeschaute „politique des auteurs“ ließ den MGM-Handwerker-Regisseur Victor Fleming sofort durchs Raster fallen.

Dabei hat Gone with the Wind einen auteur, und zwar den Produzenten David O. Selznick. Der hatte vom Ankauf der Rechte über mehrere Drehbuchfassungen, die Besetzung der Hauptrollen mit Clark Gable und Vivian Leigh bis hin zum letzten Schnitt die totale Kontrolle über das dann im Dezember 1939 uraufgeführte 220 Minuten-Werk. Dass F. Scott Fitzgerald und Hecht am Drehbuch mitarbeiteten oder George Cukor und Sam Wood große Teile inszenierten, sieht man dem wie aus einem Guss scheinenden Film nicht an.

Selznick war selbstverständlich kein Künstler wie etwa Hitchcock, dessen Rebecca er gleich nach Gone With The Wind produzierte, sondern das Musterbeispiel eines Hollywoodproduzenten, der für Massenunterhaltung auf höchstem handwerklichen Niveau sein letztes Hemd gegeben hätte. Ohne seinen kreativ-kommerziellen Idealismus wären Filme wie King Kong oder Duel in the Sun wohl nie gemacht worden. Dass sein 100. Geburtstag am 10. Mai von der hiesigen Presse fast komplett verschlafen wurde, überrascht umso mehr, als Selznicks Wirken längst auch ausführliche Würdigung gefunden hat.

Anlass für die heutige Aufführung ist ein Uni-Seminar zum Thema „Geschichte im Film“. Wie der Film die Liebe zwischen der selbstsüchtigen southern belle Scarlett O‘Hara und dem Pragmatiker Rhett Butler vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkriegs aus der Sicht des Südens inszeniert und damit Geschichte im Kino konstruiert, wird Prof. Harro Segeberg vor dem Film kurz erläutern.

Eckhard Haschen

heute, 17 Uhr, Metropolis

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