: Logistik für Bandwürmer
In Frankfurt findet die 4. Manifesta für zeitgenössische Kunst statt. Viel Sorgfalt wird auf die visuelle Präsentation verwendet, aber es fehlt das Schrille, das Misslungene – irgendetwas, das quer schießt
von BRIGITTE WERNEBURG
Kurz vor Beginn der Manifesta 4 in Frankfurt versteigerte der Schweizer Künstler Christoph Büchel seine offizielle Einladung einfach bei Ebay. „Invite Yourself“ nannte er diesen künstlerischen Beitrag, und mit der Meistbietenden, der New Yorker Künstlerin Sal Rudolph, waren die USA für 15.099 Dollar dann doch an Bord der 1990 in den Niederlanden ins Leben gerufenen Biennale für junge europäische Kunst. „Free Manifesta“ nennt Rudolph ihren Beitrag, mit dem sie nach dem Prinzip „Everyone is Invited“ schon über 100 weitere Künstler in die Manifesta einschleuste.
Büchels gut platzierter Aufschlag und Rudolphs Return unter www.freemanifesta.org boykottieren den Grundsatz, nach dem die Teilnahme an einer Veranstaltung wie der Manifesta (oder demnächst der documenta) nur als Auszeichnung erfolgen kann, mit der ein Teilnehmer geehrt wird, der sich ihrer mit seiner Arbeit und seinem Einsatz als würdig erweist. So wie die Stadt Frankfurt, die nun Gastgeberin der Manifesta ist, deren Besonderheit eben darin liegt, dass der Ort, an dem sie alle zwei Jahre stattfindet, immer ein anderer ist. Dieses Nomadisieren der Kunstbiennale bedeutet nur, dass hinter den Kulissen umso mehr gepokert und geboten wird, damit der Vorstand der Manifesta-Stiftung überzeugt ist, in dieser und keiner anderen Stadt die besten Bedingungen für die Austragung der Biennale zu finden. Die Ehre hat selbstverständlich ihren Preis, denn die Organisation und das Bereitstellen der Ausstellungsorte sind teuer. 2,1 Millionen Euro hat die „Europäische Biennale zeitgenössischer Kunst“ in Frankfurt gekostet. 1,3 Millionen kamen von der Stadt, und die Messe Frankfurt rühmt sich, mit 128.000 Euro den höchsten Sponsorenbeitrag in der Geschichte der Messe geleistet zu haben. Ganz abgesehen davon, dass die Messeleitung die Art Frankfurt sinnigerweise einen Monat verschob, damit sie am Sonntag, gleich nach Eröffnung der Manifesta, starten konnte und mit einer Kunstauktion der Gruppe Apsolutno selbst als Manifesta-Spielstätte fungiert.
Die Ehre hat also durchaus ihren Ertrag, der da heißt, dass Frankfurt jetzt „im Zentrum des europäischen Kunsttourismus“ steht, wie Nicolaus Schaffhausen sagt, als Leiter des Kunstvereins maßgeblich daran beteiligt, dass die Manifesta in die Mainmetropole kam. Auch Hans-Bernhard Nordhoff, Kulturdezernent des neuerlich prosperierenden Finanzhandelsplatzes, war sich auf der Pressekonferenz sicher: „Zeitgenössische Kunst und Wirtschaft gehören zusammen.“
Vielleicht deshalb fallen auf der Manifesta 4 zunächst die Konzeptarbeiten auf, die, wie die Beiträge von Büchel und Rudolph, den rüden Charme des Marktes, seine Promiskuität und Gleichmacherei, herauskehren. Dirk Fleischmann etwa hat in der ehemaligen Kantine des städtischen Wasserwirtschaftsamts, das als Frankensteiner Hof einer der Hauptaustragungsorte der Manifesta ist, ein Bistro eingerichtet. Unter dem Namen einiger beteiligter Künstler bietet er dort Getränke und Snacks an. Damit er nun beispielsweise die Latte Macchiato als „finger“ annonciert, haben die Künstler der Gruppe, die sich so nennt, auf ihr Manifesta-Honorar von 250 Euro verzichtet; allerdings erhalten sie im Gegenzug den Gewinn aus dem Verkauf ihres Milchkaffees. Wer nicht gerade Kräutertee aus Schwebheim anbietet, wie Dirk Fleischmann selbst, wird mit dem Vielfachen seines Manifesta-Honorars nach Hause reisen. Warum sollen nicht auch ein paar Künstler den Kunsttourismus für ihre Zwecke nutzen?
Freundlicher kann die allgegenwärtige Dienstbarmachung der Manifesta jedenfalls kaum offen gelegt und kritisiert werden. Zumal hier, im seit Jahren ungenutzten Wasserwirtschaftsamt, mithin einem „städtebaulichen Problemfall“, von dem sich der Kulturdezernent bei der Pressekonferenz wünschte, dass die Kunst diesem Ort wieder auf die Beine einer neuen Nutzung hilft.
Wer nun meint, in den ständigen latenten oder manifesten Hinweisen auf die wohltätige Wirkung der Manifesta ihr Problem entdeckt zu haben, täuscht sich auf zweierlei Weise. Zunächst, so zitiert der italienische Künstler Davide Grassi in seiner Video- und Internetarbeit „problemarket.com“ den britischen Journalisten GK Chesterton, handle es sich bei einem Problem sowieso nur um eine Herausforderung, die fälschlicherweise eine Schwierigkeit genannt werde. Ein Problem ist somit nur Katalysator für Kreativität und neue Kraftanstrengung, weshalb es unbedingt auf der „Problem Stock Exchange“ gehandelt und bewertet werden sollte, einer Börse, die Grassi mit seinem slowenischen Koautor Igor Tromajer eingerichtet hat. Sodann aber erweist sich, dass die im Städelschen Kunstinstitut, im Portikus, im Kunstverein, im Frankensteiner Hof oder verstreut im Stadtraum versammelten Arbeiten und Projekte ihre ganz eigensinnige Haltung entfalten, die Verwertbarkeit und Effizienz dann doch verfehlt – was beim Rundgang durchaus lustvoll erfahren werden kann.
Viel zu skurril sind oft die Geschichten und zu nutzlos die Untersuchungen wie Christoph Finks minutiöse Aufzeichnungen „Movement # 52“. Man muss das fieselige Aneinanderreihen von Uhrzeiten und Begebenheiten, von Verkehrsmitteln und ihren Fahrplänen, das sich im ersten Stock des Kunstvereins gleich über mehrere Meter in einer Vitrine hin ausdehnt, nicht unbedingt mögen. Aber der Gedanke hat seinen Reiz, dass dieser Bandwurm Finks simplen Spaziergang durch Frankfurt mit jener ausgefeilten Logistik gleichstellt, die Grundlage des europäischen Luftfrachtknotenpunkts Frankfurt ist. Zumal in dem abstrakten Gekritzel die Stadt doch Leerstelle bleibt.
Das gilt auch für die anderen Exponate, die wenig „site-specific“ sind. Die junge Kunst in Europa, der die drei Kuratorinnen Iara Boubnova aus Bulgarien, Nuria Enguita Mayo aus Spanien und Stéphanie Moisdon Trembley aus Frankreich, im Verein mit zahlreichen Institutionen und Individuen extensiv hinterherrecherchiert haben, schaut auf der Manifesta 4 zuerst einmal heterogen, hybrid und eher individualistisch aus. Zum großen Teil stößt man tatsächlich auf neue Namen, wenn auch nicht wirklich auf neue Fragen, neue Materialien oder neue Methoden. So ist im Frankensteiner Hof das Spiel mit der Raumwahrnehmung durchaus bekannt, wenn Massimo Bartolini in „Zwei Horizonte“ das Mobiliar eines Zimmers im erhöhten Boden versinken lässt oder Monika Sosnowska den Besucher in „Untitled“ in immer den gleichen Raum schickt, obwohl er stets eine neue Tür öffnet. Aber vor allem Sosnowska gelingt es dann doch, dass sich ein Gefühl des Unheimlichen, des Schwindels und der Beklemmung einstellt.
Vielleicht weil die Fragen – was ist Wissen, was Beobachtung und was passiert mit uns, wenn wir beobachten, was mit den Dingen und Situationen? – nicht neu sind, fällt das Augenmerk mehr auf die einzelnen Arbeiten. Jonas Dahlbergs nicht enden wollende, ruhige Videofahrt durch eine im Regen glänzende, nächtliche „Einbahnstraße“ ist trotz aller modernistischen Leuchtkuben am Straßenrand (die das Modell verraten) ein großartiges Schauerstück und ziemlich gothic in seiner Atmosphäre des Déjà-vu. Florian Pumhösls „Wandbild“, das Fotodiagramm eines minimalistischen Punkterasters, hinter dem man ein wissenschaftliches Experiment vermuten möchte, führt zu einem Monitor, auf dem ein Standbild hübsches Geäst zu zeigen scheint. Freilich bewegt es sich dann und zwar ganz anders als durch den Wind geschaukelt: es handelt sich um Stabheuschrecken. Und wenn der Titel hier auch beginnt „Du hast einige Male jüngste Entwicklungen in der exakten Naturwissenschaft vorweggenommen …“, macht die Installation vor allem einen sehr malerischen Eindruck.
Diesen Eindruck, hochprojiziert auf zwei große Leinwände, vermittelt auch Kalin Serapionovs Videobeobachtung vom Meeting-Point am Zürcher Hauptbahnhof. Eine fast unnötige Eleganz des Schnitts und der Parallelführung der Einstellungen führt zu schwelgerischen Bildern, die trotzdem ganz beim Alltäglichen bleiben. Überhaupt sind die Künstler der Manifesta, die größtenteils Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre geboren sind, ziemliche Perfektionisten. Das erstaunt schon ein wenig bei jungen Leuten mit geringer Ausstellungserfahrung und keinem großen Fundus, weswegen auch ein Drittel des Manifesta-Budgets in die Produktion neuer Arbeiten floss. Gediegen, umsichtig, vernünftig sind Begriffe, mit denen die Vielzahl der Sprechweisen, Untersuchungen, Dokumentationen und Aktionen charakterisiert werden können, die sich in Video, Assemblage, Performance, Fotografie, Installation und Archiv entfalten und über den „Trespassing Space“ des Rundfunks, Fernsehens und Internets über den Ausstellungs- und Stadtraum hinausführen. Gediegen, umsichtig, vernünftig heißt auch, dass Fragen der Identität, Migration, Politik, etwa bei „wemgehörtdiestadt“ oder den Trainingsprogrammen für Kriegsberichterstatter „Risk Assesment Serives“ in komplexen Untersuchungen, die ein wenig nach Seminar muffeln, nachgegangen wird. Was fehlt, ist das Schrille, vielleicht Bösartige, schließlich das Misslungene, Ärgerliche, irgendetwas, das deutlich quer schießt. Kein Schaden ist es dagegen, dass die große Arbeit fehlt, die die Aufmerksamkeit vollkommen vereinnahmt, die in Verwirrung stürzt oder schlicht in helle Begeisterung. Diesen Coup hätte man dem begehrlichen Frankfurt nun wirklich nicht gegönnt.
Manifesta 4, bis 25. August, Kurzführer 5 Euro, Katalog 20 Euro
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