: berliner szenen Kleine Graffitikunde II
Bushs Spuren
Hastig schreitet die Zeit voran und die ersten Highlights dieses Sommers sind schon vorbei: 1. Mai, Karneval der Kulturen, die Deutsche Alternativ Meisterschaft im Fußball, der Besuch von George W. Bush. Der hatte zwar Kreuzberg gemieden, dennoch aber Spuren hinterlassen. An einer Hauswand in der Manteuffelstraße steht zum Beispiel: „Bush ist schuld“. Eine interessante Inschrift, die an die Kurz-vor-89-Zeit erinnerte, als man sich in den avantgardistischen Sektionen der Uni im Dekonstruktivismus übte.
Beim dekonstruktivistischen Closer Reading ging es darum, einen Text so lange anzugucken, bis er irgendwann ganz anders zurückguckt. Oder einfacher gesagt: Man mühte sich, den Nabel des Textes zu finden, einen Satz, eine Metapher. Einmal gefunden sog diese das Vorhergesagte wie ein Strudel in sich und spuckte es quasi umgedreht wieder aus. „Things ain’t what they used to be“ (Count Basie), bloß eben als prozessuale Textmaschine. Wie der haschtrunkene Satz „Dies ist keine Pfeife“ unter dem bekannten Bild einer Pfeife von Magritte. Dies schien mir auch der Fall zu sein mit „Bush ist schuld“. Denn der Satz sagt doch vor allem, dass Bush schuld ist an dem Satz, der seine Schuld bezeichnet. Auf der semantischen Ebene wischt sich der Satz also ständig wieder ab von der Hauswand.
Es gab auch andere Sätze, „Fuck you, Bush“ oder „Bush töten“. Letzterer knüpft graffitihistorisch an die einst beliebten „Nazis töten“- oder „Kinderficker töten“-Sprüche an und enthält interessanterweise kein Ausrufezeichen. Die krude Antwort, die ein anderes „Bush töten“ an der Bushaltestelle Heckmannufer bekam, ist allerdings auch ganz schön: „Töte dich selber“. Und das wieder ohne Ausrufezeichen!
DETLEF KUHLBRODT
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