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Good Vibrations im Bois de Boulogne

Nirgends fühlt sich Gustavo Kuerten so wohl wie auf der roten Asche von Paris, und je mehr die gute Laune des brasilianischen Tennisspielers steigt, desto größer sind seine Chancen, hier den vierten Titel zu holen

PARIS taz ■ Könnte er sich die Pariser Luft in Flaschen abfüllen lassen, dann ginge es ihm überall gut. Ob es die Kraft einer rührend naiven Einbildung ist, das Gefühl, an diesem besonderen Ort so gewollt und geliebt zu sein wie sonst nur daheim – offensichtlich ist immer wieder alles möglich mit Gustavo Kuerten, sobald der die Tore des Stade Roland Garros passiert.

Zugegeben, die Umstände seines Sieges in der zweiten Runde gegen den Italiener Davide Sanguinetti (6:7, 6:2, 4:6, 6:4, 6:3) waren nicht ganz so dramatisch wie jene vor einem Jahr im Achtelfinale gegen den nahezu unbekannten Amerikaner Michael Russell. Damals gewann er nach Abwehr eines Matchballes und malte hinterher mit dem Schläger ein riesiges Herz in den Sand.

Aber auch diesmal sah es ein paar Mal so aus, als sei er am Ende: Anfang des vierten Satzes, als er schon ein Aufschlagspiel verloren hatte und der Verlust eines weiteren drohte, oder Anfang des fünften, als er beim Stand von 2:2 ein Break kassierte. Doch jedesmal nahm er einen tiefen Schluck aus der Zauberflasche und legte sich noch mal ins Zeug. Während der grau melierte Sanguinetti zum Ende hin müder und müder wirkte, fühlte sich Kuerten am Schluss so richtig wohl.

Als es vorbei war, drehte er eine Runde an der Balustrade, klatschte die Hände der Zuschauer ab und freute sich seines Lebens. „Es ist wie jedes Jahr“, sagt er, „ich kämpfe, die Leute helfen mir dabei, es macht mir mehr Spaß, und mein Spiel wird besser. Ich brauche das einfach.“

Jetzt gibt er sich der Hoffnung hin, dass dieses wechselvolle Spiel auf seinem weiteren Weg in Paris eine ähnliche Wirkung haben könnte wie jenes gegen Russell vor einem Jahr, als er ein paar Tage später seinen dritten Titel gewann und seinen unzähligen Fans zum Dank ein zweites Herz schenkte. Die Überraschung wäre diesmal allerdings größer, denn schließlich ist er doch gerade am Anfang seines Weges zurück zu alter Stärke. Nach einer Operation an der Hüfte zu Beginn dieses Jahres und nach einer zweimonatigen Pause ist er erst seit vier Wochen wieder dabei, und er sagt selbst, dass die Zeit zu kurz war, um schon bereit für die French Open zu sein. Eigentlich.

Aber es ist bei der Rückkehr von Anfang an ziemlich gut gegangen: Zwei Siege in Mallorca, einer in Rom, drei in Hamburg, das war besser als erwartet, und da er nun wieder angekommen ist bei seinem allerliebsten Turnier, wird niemand mehr behaupten wollen, ein vierter Titel, der dritte in Folge, sei nicht möglich.

Um zu wissen, dass Gustavo Kuerten in Paris ein freierer Mensch ist als anderswo außerhalb Brasiliens, muss man ihn mal im Feindesland gesehen habe. In New York, zum Beispiel, wo es ihn selbst bei 30 Grad fröstelt, weil er keine Verbindung zu den Menschen auf der Tribüne spürt und weil er immer wieder das Gefühl hat, er müsse sich für seine Anwesenheit entschuldigen. „Um gut spielen zu können, muss Gustavo glücklich sein“, sagt sein älterer Bruder Rafael, der sich seit Jahren um die Finanzen der Familie kümmert und um manches mehr. Alles eine Sache der vibrations, wie Gustavo sagen würde. Vieles von dem, was er gern tut, hat mit positiven Schwingungen zu tun – Gitarrespielen, Wellenreiten, im Kreise von Freunden sein. Und wie dieses Gefühl auch sein Tennisspiel hebt und trägt, das sieht und spürt man nirgendwo so gut wie in Paris. DORIS HENKEL

French Open, 2. Runde, Männer: Kuerten - Sanguinetti 6:7 (0:7), 6:2, 4:6, 6:4, 6:3; Haas - Lopez 6:3, 6:4, 6:4; Coria - Schüttler 6:4, 6:2, 6:3; Agassi - Sanchez 4:6, 6:2, 6:1, Aufgabe Sanchez; Novak - Knippschild 6:1, 6:2, 7:5; Malisse - Henman 6:2, 3:6, 7:6 (7:4), 6:3; Nalbandian - Saretta 6:3, 6:4, 6:0; Moya - Philippoussis 6:2, 7:6 (9:7), 7:6 (11:9); Arazi - Puerta 6:2, 6:1, 6:2; Porta - Mamiit 3:6, 6:3, 6:4, 6:4; Vicente - Alberto Martin 6:4, 6:3, 6:3; Hewitt - Stoljarow 4:6, 7:6 (7:5), 6:0, 7:5; Clement - Johansson 7:6 (7:4), 6:1, 6:3; Zabaleta - Kafelnikow 7:6 (7:4), 2:6, 6:4, 7:6 (7:4)Frauen: Lichowtsewa - Müller 7:5, 6:4; Tanasugarn - Kandarr 6:4, 1:6, 6:3; Capriati - Frazier 6:4, 6:3; Rubin - Schett 5:7, 6:3, 7:5; Schiavone - Mikaelian 3:6, 7:6 (7:4), 6:3; Farina - Pisnik 7:6 (8:6), 6:4; Pierce - Torrens Valero 6:3, 6:1; Loit - Asagoe 2:6, 7:6 (7:3), 6:2; Schnyder - Garbin 6:3, 6:2; Tuljaganowa - Wheeler 6:1, 6:4; Seles - Rittner 6:4, 6:1; Mauresmo - Pratt 6:2, 6:1; Venus Williams - Prakusya 6:0, 6:1; Clijsters - Daniilidou 7:6 (7:4), 7:6 (9:7)

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