piwik no script img

Festung Europa

Sind Jugendliche europaverdrossen? Wenn, dann haben sie ihre Gründe. Viele wünschen sich vor allem ein selbstbewusstes Europa. Und an dessen Existenz haben sie so ihre Zweifel

„Ich bin Europäer, nicht die schlechte Kopie eines Amerikaners“

von ANJA WIESBROCK

Der Begriff „Europaverdrossenheit“ ist unter Soziologen und Politikern schon ähnlich beliebt wie „Politikverdrossenheit“. Doch wie sieht die Einstellung junger Leute zu Europa wirklich aus? Sind sie ebenso europa-, wie sie politikverdrossen sind? Oder sind sie keines von beiden?

Würde Jugendlichen statt herablassender Worte und Argusaugen mal ein verständnisvolles Ohr zugewendet, wäre leicht herauszufinden, dass sie nur gegen bestimmte Aspekte europäischer Politik sind. Auch Hannah Scharli (20) ist europakritisch. Für sie gibt es jedoch keine größere Beleidigung, als mit extremistisch und nationalistisch argumentierenden Europagegnern in einen Topf geschmissen zu werden. Nationale Identitäten bedeuten Hannah einfach nichts: „Ich fühle mich weder als Deutsche noch als Europäerin, für mich sind alle Menschen gleich. Ich bin Weltbürgerin.“

Eine europäische Integration hält sie nicht für notwendig, da ein Krieg in Westeuropa auch ohne Europäische Union nicht mehr vorstellbar sei, zum anderen sieht sie in dem Aufbau einer europäischen „Festung“ das Anliegen, sich politisch und vor allem ökonomisch von den Entwicklungsländern abzugrenzen. „Es ist nichts weiter als ein Abwehrmechanismus und ein Beitrag zu den bestehenden Ungerechtigkeiten in dieser Welt.“

Doch auch wer den „europäischen Gedanken“ unterstützt, dem bleiben Zweifel an der Effizienz der Eurokraten und ihrem Auftreten: Trotz Trauer um die amerikanischen Opfer schüren Sätze deutscher Politiker wie SPD-Fraktionschef Peter Struck: „Heute sind wir alle Amerikaner“ oder der überstrapazierte „Angriff auf unsere zivilisierte Welt“ bei vielen Jugendlichen eine innerliche Ablehnung der USA. „Ich bin Europäer, nicht die schlechte Kopie eines Amerikaners“, erklärt Torben Köhler (19), „und solange die europäischen Politiker sich nicht zusammenraufen und eine Alternative zu den Vereinigten Staaten aufbauen, solange sie einem Mann wie Bush nicht Kontra geben, und die machtstrategischen Pläne einer vorherrschenden Supermacht kritisch prüfen und wenn nötig verurteilen, solange kann man nicht von einer wirklichen europäischen Einheit sprechen.“

Und obwohl Europa durch die Vertreibung der Juden Mitverantwortung am Nahost-Konflikt trägt, fehlt auch hier eine klare Position. Ein betroffener Augenaufschlag und ein Aufruf an beide Seiten, die Waffen niederzu legen reichen nicht. Europäische Politiker müssen sich beteiligen und deutlich für die Gründung eines palästinensischen Staates aussprechen.

Die Europäische Kommission macht eher durch Korruptionsskandale und Spendenaffären von sich reden als durch Entscheidungen zur Fangquotenregelung. „Die Spendenaffären hier in Deutschland reichen mir schon. Auf europäischer Ebene ist alles noch unübersichtlicher und schwerer zu kontrollieren“, meint Jule Brodtkorb (19). Das Vertrauen in die Politiker der europäischen Kommission habe sie verloren. „Vielleicht sollte man die alle austauschen und einen neuen Anfang wagen.“

Und dann ist da noch das Misstrauen gegenüber den derzeit Regierenden. Wie werden sie aussehen, die europäischen Entschlüsse, mit Berlusconi in Italien, Chirac in Frankreich, Haider in Österreich und vielleicht bald Stoiber in Deutschland?

Im Grunde aber ist es vor allem das fehlende Vertrauen der europäischen Politiker in sich selbst und in die europäische Union, dass es manchen Jugendlichen schwer macht, auf Europa als eigenständige, demokratische und handlungsfähige Einheit zu vertrauen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen