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Übung und Geniestreich

Wer seine Chancen nicht nutzt, holt das nach: Altona 93 steigt durch einen 4:1-Sieg über den TSB Flensburg in die Oberliga auf. Rudi Völler allerdings schaute bei der Beckham-Ecke nicht zu

von FOLKE HAVEKOST

Vielleicht hätte Altonas Coach Andreas Prohn seinen Außenbahnspieler nicht so überschwänglich loben sollen. „Ganz starkes Spiel“, rief er Marcel Abshagen zu, als der, einmal nicht von Fans umringt und umarmt, an ihm vorbeilief. Bald darauf rannte Abshagen, wie in Aufsteigerkreisen üblich, mit einer Pulle Schampus wieder auf den Trainer zu. „Und ich habe nichts zum Wechseln mitgenommen“, stöhnte Prohn, kurz nachdem der Flascheninhalt nahezu vollständig auf seinem Hemd gelandet war.

Bevor aus dem fröhlichen ein feuchter Trainer wurde, konnte er gerade noch über den „Geniestreich“ räsonieren. Gemeint war das vorentscheidende dritte Tor im Aufstiegsspiel gegen den TSB Flensburg durch Christopher Meincke eine Viertelstunde vor Schluss. Aus 25 Metern hatte Meincke den Ball perfekt ins Tor geschlenzt. Als die Fans aus dem Staunen und Jubeln heraus waren, versuchten einige, das Tor bis nach Japan zu übermitteln: „Rudi Völler, hast du das geseh‘n?“ Aber im Gegensatz zu Altona 93 zieht Bundes-Rudi klare Siege ja einer perfekten Dramaturgie vor.

Dass die Altonaer ihre Nerven schonten, konnten die 1550 Zuschauer (AFC-Präsident Dirk Barthel: „Eine überragende Zahl“) an der Griegstraße nicht behaupten. „Wir haben in der ersten Halbzeit eigentlich alles richtig gemacht“, befand Coach Prohn, „aber unsere vielen Torchancen nicht genutzt.“ Abshagen (9., Pfosten) und Goalgetter Tobias Dehne (24., 33.) vergaben die besten, ehe einer alten Weisheit zufolge die Gäste dies bestraften. Tom Viebrock holte clever einen Elfmeter heraus, den Olaf Nielsen (38.) im Nachschuss zum 0:1 verwandelte – nach dem 1:2 im Hinspiel lag Altona folglich mit zwei Treffern hinten. Mit dem Rücken zur Wand platzte beim AFC jedoch der Knoten.

Meincke (41.) köpfte noch ganz ohne genialische Anwandlungen den schnellen Ausgleich, und auch die verletzungsbedingte Auswechslung von Keeper Matthias Höth (45.) konnte die Altonaer nicht mehr stoppen. Ersatztorwart Adil Yazgin bekam nicht einen gefährlichen Ball auf sein Gehäuse.

Auf der anderen Seite nutzten die Gastgeber ihre zahlreichen Gelegenheiten jetzt wenigstens in einer erträglichen Verwertungsquote. Der spätere Schampus-Jäger Abshagen trat eine Ecke à la Beckham, die Dehne (64.) zum 2:1 einköpfte. „Wir haben das täglich ein paar Mal geübt“, plauderte Abshagen nachher aus dem Trainings-Nähkästchen: „Im richtigen Moment hat‘s zum ersten Mal hundertprozentig geklappt.“ Es folgte Meinckes Geniestreich, ein weiterer Dehne-Treffer (82.) zum 4:1-Endstand und zehn Minuten später ein neuer Dresscode.

Über ihre Trikots zogen die Altonaer Spieler die vorbereiteten Aufstiegs-T-Shirts. Da wird sich bestimmt jemand gefunden haben, der sein Exemplar dem durchnässten Trainer geliehen hat.

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