Ein Südstaatenmärchen

Vom Schicksal belohnt: Das R&B-Trio Destiny’s Child kündet vom Aufstieg durch Schönheit, Soul, Gott und Gefühl. Alle diesbezüglichen Widersprüche lösten sich beim Berliner Konzert in Konfetti auf

von KERSTIN GRETHER

Vor dem Velodrom hängt noch das Konzertplakat vom letzten Herbst: Auf den Tag genau vor sieben Monaten hatte sich die erfolgreichste Frauenband der Welt schon mal in Berlin angekündigt, und in der Zwischenzeit sind sie sogar noch ein bisschen erfolgreicher geworden: Ihr drittes Album, „Survivor“, ist auch hierzulande Platin gegangen, zwei weitere Single-Hits haben das Gesangstrio im Gespräch gehalten. Und ich laufe seit Tagen, wenn nicht seit Monaten, mit dem Refrain von „Survivor“ durch mein Leben.

Destiny’s Child wissen, wie man das Begehren ankurbelt. Dabei senden sie widersprüchliche Signale aus, diese aber mit eindeutiger Wucht. Denn was soll man von einer Gruppe halten, die einem im Partysong „Bootylicious“ auffordert, sich individuell zu stylen, egal was andere denken – nur um sich im Nachfolgehit „Nasty Girl“ über Mädchen lustig zu machen, die zu sexy herumlaufen?

Destiny’s Child sprechen Mädchen an, meinen die Jungs aber mit, die ganze Familie und die Szene-Insider auch: mit Verkaufs- und Credibility-Strategien, wie man sie von Madonna kennt, und so wirkt das Publikum im Velodrom auch eher unteeniehaft-erwachsen und unhysterisch. Sowohl ein Weihnachtsalbum (Familien-Cred) als auch eine Remix-Platte (Szene-Werte) haben sie zuletzt herausgebracht, und Michelle Williams, die Sängerin mit den langen schwarzen Haaren, hat mit ihrem Back-to-gospel-„Heart to yours“-Debüt sogar schon die Post-Destiny’s-Child-Ära eingeläutet. Denn ab Sommer wollen die drei erst mal getrennte Wege gehen: Man wird die Texanerinnen also vielleicht nie mehr in dieser Form live sehen.

Das Licht geht aus, die Videoleinwände künden in großen Lettern „The Story of Destiny“ an, dann lodert Feuer auf. Gleichzeitig geht ein echtes Feuerwerk los, und Beyoncé Knowles, Michelle Williams und Kelly Rowland schreiten die Treppenstufen zur Hauptbühne herab. Wunderbar sehen sie aus in ihren goldenen Miniröcken. Beyoncé wirkt vor allem zu Beginn des Konzerts noch ziemlich herzlich und spontan, doch die Konversation mit dem Publikum überlässt sie Kelly, die sich ganz darauf verlegt, das Publikum anzufeuern: Sie will wissen, welche Sektion im Raum am lautesten schreien kann, oder fordert auf eine angenehme Art zum Mitsingen auf: als sei das eine feierliche Angelegenheit, bei einem Destiny’s-Child-Song mitzusingen, als müsse man sich das auch erst mal trauen. Vielleicht ist das letztlich auch nichts anderes, als wenn etwa Le Tigre ihr Publikum dazu auffordern, selber die Instrumente zu spielen, denn Destiny’s Child benutzen ihre Stimmen wie Instrumente. Die männlichen Musiker mit Gitarren oder Keyboard wirken dagegen wie Statisten, wie auch die Backgroundtänzer. Es ist eben das Schicksal von Kelly, Michelle und Beyoncé, das hier in allen Schönheiten und Schikanen aufgeführt wird.

Je länger das Konzert dauert, desto weniger kommen Destiny’s Child einem dabei noch wie Repräsentanten realer Gegebenheiten vor, weder von schwarzen Frauen noch eines neoliberalistischen Lebensgefühls. Alles ist hier, im Gegensatz zu ihren identitätsstiftenden Videoclips, bereits aufgelöst in Soul, Leidenschaft, Spiritualität, Schmerz, Power. Und es ist nebensächlich, ob sie es als Gospel oder als poppige Überlebenshymne darbieten. „It’s just emotion, taking the ocean“, singen sie und inszenieren das Stück, das man in einer Endlosschlaufe auf ihrer Website hören konnte, als nächtliche Fahrt durch Großstadtlichter. Dann singt Michelle im hoffnungsvollen „Child Oh“ von einem besseren Leben in der Zukunft und präsentiert mit ihrem neuen Song „Heard A Word“ gleich ihre eigene.

Beyoncé aber bleibt der Star in der Band: Mit einer Blume im Haar buchstabiert sie alle Variationen des Wortes „Love“ durch, während man im Hintergrund Wolkenbilder sieht. Spätestens hier wird klar: Destiny’s Child repräsentieren vor allem sich selbst, das Destiny’s-Child-Märchen vom Aufstieg durch Schönheit, Soul, Gott und Gefühl, Donner und Disziplin. Und sie wollen keine latent nackten „nasty girls“ sein: Das macht sie zu einem der wenigen R&B-Acts, die sexy sein können, ohne sich symbolisch zu prostituieren.

Destiny’s Child lösen eben, wie es sich für ein Märchen – oder ein Südstaatenepos – gehört, alle Widersprüche in Luft auf. Und winken zum Schluss in „Just be happy“-Shorts die Luftballons und Konfettis von der Decke. Dann ist man erleichtert, dass es vorbei ist, und geht nach Hause wie nach einem Kinobesuch. Es war zu schön, um wahr zu sein, und daher umso wahrer.