: Vetorecht gegen das Gemeinwohl
betr.: „Treue muss nicht schlecht sein“, Kommentar von Hannes Koch zum Tariftreuegesetz, taz vom 31. 5. 02
Wer das Tariftreuegesetz begrüßt, sollte konsequenterweise auch andere Formen des Handels von Waren und Dienstleistungen ablehnen, die auf dem Prinzip des „comparative advantage“ beruhen. Der Handel mit Ländern der dritten Welt oder Billigproduzenten in Osteuropa beruht nun mal auf der Tatsache, dass diese Länder einen Überschuss an oft ungelernten Arbeitskräften haben. Ohne Handel wäre Kleidung bei uns extrem teuer und die Chinesen hätten keine Maschinen, die es ihnen erlauben, die nächste wirtschaftliche Entwicklungstufe zu erreichen.
Der Wiederaufbau nach dem Krieg in Deutschland wurde auch durch die florierende Exportwirtschaft erreicht – wohin hätten die Deutschen denn ihre Volkswagen Käfer exportiert, wenn die USA ein Tariftreuegesetz verabschiedet hätten, sodass Volkswagen nur Wagen exportieren hätte können, die von Arbeitern in Wolfsburg mit Gehältern in Detroit produziert wurden?
Was von den Befürwortern des Tariftreuegesetzes geflissentlich verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass Deutschland massiv von billigen Bauarbeitern profitieren kann – Infrastrukturmaßnahmen kosten erheblich weniger, und die gesparten Gelder können angelegt werden, um deutschen Bauarbeitern den Wechsel in zukunftsträchtigere Branchen zu erleichtern.
Stattdessen wird derselbe Unsinn wie bei den Steinkohlesubventionen veranstaltet: Eine ganze Industriestruktur wird auf Kosten der Allgemeinheit vom Wettbewerb abgeschottet, nur weil man einer relativ kleinen Zahl von Bauarbeitern den Jobwechsel nicht zumuten möchte. Wer glaubt, dies sei sozial und gerecht, irrt sich gewaltig: Hier wird einer Minderheit ein Vetorecht gegen wirtschaftlichen Wandel eingeräumt auf Kosten des Gemeinwohls. MARKUS MOBIUS, Cambridge MA, USA
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