: berliner szenen WM streng nach Regeln
„Picknick im Grünen“
Einige tausend waren in der „Arena“, als die Unsrigen gegen Irland für ein Euro spielten. Das Leinwandbild war quadratisch und zusammengestaucht. „Deutschland“-Rufe waren selten. Lediglich vielleicht zehn Jungmänner mit nacktem Oberkörper krähten und grölten ununterbrochen: „Olli“, „Rudi“, „es gibt nur ein Carsten Jancker“ oder „den wolln wir nicht“, als Asamoah auf der Ersatzbank zu sehen war. Häufig versuchten sie auch die Iren mit „Wichser“ und Ähnlichem aus dem Konzept zu bringen. Der größte Teil des Publikums hielt sich jedoch zurück. Sehr schön war es in der Pause mit Bier an der Spree. Die zehn Afrikaner, die die senegalesische Mannschaft im Osteria-Zelt anfeuerten, riefen dagegen meist „Weiter, Jungs!“, „Weiter, Senegal, weiter so!“ oder, eher scherzhaft „Elfmeter!“, bzw. „Rote Karte!“ In der Halbzeit rauchte einer Gras. Das war lustig, denn vor dem Spiel hatte jemand im Radio „ich rauche Ganja den ganzen Tag“ gesungen. Erst war man verärgert, dass die Dänen 1:0 in Führung gingen, dann freute man sich, weil auf dem eigenen Tippschein auch 1:0 stand, dann fiel nach dem schönsten Angriff des Turniers das 1:1. Jubelnd und trillerpfeifend stürmten drei Afrikaner in V-Formation nach vorne und sprangen auf die Tische. Hätte man nicht getippt, hätte man sich nun auch sehr gefreut. Hält man sich übrigens nur an die Vorschriften des Regelbuchs, so der Soziologe Gunter Gebauer, dann wäre „ein Picknick im Grünen, vorausgesetzt, es fände auf einem mindestens 90 m langen und 45 m breiten Rasenstück mit bestimmten Kreidestrichen und zwei Toren statt, mit 22 Gästen und drei Gastgebern und einem kugelförmigen Lederball in der Mitte, nicht von einem Fußballspiel zu unterscheiden“.
DETLEF KUHLBRODT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen