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„Șalom“ vom Bosporus

Die Zeiten, als es in der Türkei noch eine blühende jüdisch-türkische Presselandschaft gab, sind vorbei. Einzig die Wochenzeitung „Șalom“ bedient heute noch die Interessen der jüdischen Gemeinde

von DEVRIM TUNCEL

Als Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Zeitungen im osmanischen Reich erschienen, hatten nicht wenige einen spanisch klingenden Namen: Sie hießen La Buena Esperansa, El Manadero oder El Luzero und waren fast durchweg in Ladino, einer Sprache kastilischen Ursprungs, die von Juden in der Türkei gesprochen wurde. Es waren die Anfänge einer lebendigen jüdisch-türkischen Presselandschaft, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit mehreren Tageszeitungen und Zeitschriften schließlich ihren Höhepunkt erreichte. Heute, 510 Jahre nachdem jüdische Flüchtlinge aus Spanien die Druckkunst nach Istanbul brachten, ist von der einstigen Vielfalt nur noch wenig übrig: Șalom, die wöchentlich in einer Auflage von 4.500 Exemplaren erscheint, ist die letzte jüdische Zeitung in der Türkei.

Inhaltlich ist Șalom auf die Bedürfnisse einer Gemeinde zugeschnitten, die nach zwei großen Auswanderungswellen – Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA und ab 1948 nach Israel – nun auf 29.000 Mitglieder geschrumpft ist. 3.000 Personen zählt die Community in Izmir; der überwiegende Teil der türkischen Juden lebt in Istanbul, wo auch die von Chefredakteurin Tilda Levi geleitete Șalom ihren Sitz hat. Erschien die 1947 gegründete Zeitung zunächst ganz auf Ladino, wurde 1986 wohl im Interesse der jüngeren Leserschaft überwiegend auf Türkisch umgestellt. Eine von insgesamt 14 Seiten ist noch heute auf Ladino – womit Șalom weltweit die einzige Zeitung ist, in der diese ausgefallene Sprache überhaupt noch auftaucht. „Aus den Zeitungen unserer Väter“ heißt die Rubrik, in der Beiträge aus den alten jüdischen Zeitungen Istanbuls präsentiert werden.

Seit der türkisch-israelischen Annährung, die vor rund zehn Jahren auf militärischer Ebene eingeläutet wurde, ist Israel ein zentrales Thema für Șalom. Der aktuelle Konflikt im Nahen Osten wird auf mehreren Seiten behandelt. Hier berichtet der einst in der Türkei renommierte Journalist Erol Güney im „Brief aus Israel“ über die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen, während die Europakorrespondentin Eli Gerson auch über die anti-semitischen Ausfälle des Jürgen W. Möllemann informiert. Die Redaktion ist offensichtlich bemüht, antiisraelischen Tendenzen vor allem in der islamistischen und konservativen türkischen Presse entgegenzusteuern. Diese Medien hätten Israel den Krieg erklärt, kommentiert Auslandsredakteur Ivo Molinas und kritisiert, dass manche Journalisten „größere Anhänger der Politik Arafats sind als Arafat selbst“. Yakup Barakos befürchtet gar, das positive Bild Israels in der türkischen Öffentlichkeit, das zuletzt durch die Erdbebenhilfe Israels an die Türkei gestärkt wurde, sei durch die einseitigen Medienberichte nun ernsthaft angekratzt.

Großen Raum nehmen zudem Meldungen aus der Gemeinde ein, die von den rund 15 ehrenamtlichen Redakteuren zusammengetragen werden. Șalom fällt dabei auch die Aufgabe zu, die Kommunikation zwischen zahlreichen jüdischen Vereinen und Institutionen, die über die 10-Millionen-Stadt Istanbul verteilt sind, zu ermöglichen: Neben rund 20 aktiven Synagogen sind hier diverse Sozialclubs zu nennen, auch ein jüdisches Krankenhaus gibt es in Istanbul, Schulen und Kulturzentren. Abgerundet wird die Zeitung durch Kulturseiten und Karikaturen der Künstler Izel Rozental und Irvin Mandel.

Aus der Șalom ist das Bemühen herauszulesen, das historische Erbe der jüdischen Gemeinschaft auch für künftige Generationen zu bewahren, weshalb auch vermehrt jüngere Autoren in die redaktionelle Arbeit einbezogen werden: Als Nachfahren von Flüchtlingen, die 1492 wegen antijüdischer Pogrome in Spanien Schutz im osmanischen Reich suchten, können die türkischen Juden auf eine bewegte Vergangenheit verweisen. Gleichzeitig ist der Versuch der jüdischen Community unübersehbar, sich selbstbewusst gegenüber der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft zu öffnen. „Es gibt keinen Grund, uns beschämt einzuigeln“, schreibt Jako Molinas und fügt hinzu: „Als türkische Juden sind wir keine Israelis, sondern türkische Staatsbürger 1. Klasse.“ Vor diesem Hintergrund ist auch ein kürzlich in Istanbul eröffnetes Museum zu sehen, das der Öffentlichkeit die Geschichte der türkischen Juden näher bringt.

Tatsächlich scheint die jüdische Gemeinde allmählich ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, die nach der Migration vieler Juden nach Israel eingesetzt hatte. Mit der allgemeinen Euphorie der Staatsgründung Israels waren zuvor mehrere jüdische Zeitung auf den Markt gekommen. Doch zionistische Tendenzen von Blättern wie Atikva, Or Yeuda oder Sabat führten damals zu scharfen Gegenreaktionen der nationalistischen türkischen Presse, die antipatriotische Subversion witterte. Als es dann 1955 zu Ausschreitungen gegen die griechische Minderheit in Istanbul kam, richteten sich die Angriffe des aufgebrachten Mobs auch gegen Synagogen und jüdische Geschäfte – die jüdische Community reagierte mit einer Art innerer Emigration. Anfang der 70er-Jahre stellten schließlich die Wochenzeitung La Vera Luz und mit dem Le Journal d‘Orient auch die 1917 gegründete, langlebigste jüdische Tageszeitung ihr Erscheinen ein.

Heute bemühen sich mehrere Verlage, die jüdische Kultur und Geschichte in der Türkei aufzuarbeiten. Die öffentliche Diskussion um eine Vermögenssteuer aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die sich gezielt gegen jüdische und christliche Bürger richtete, löste vergangenes Jahr regelrecht eine Welle von Publikationen aus. Hervorzuheben sind dabei die Veröffentlichungen des „Gözlem“-Verlags, Eigentümer der Șalom, der auch Werke neuer türkisch-jüdischer Literaten verlegt. Gemeinsam bieten Verlag und Zeitung einen guten Einblick in das Leben einer wenig beachteten Community, der durch die kürzlich eingerichteten Internetseite der Șalom (www.salom.com.tr) unterstützt wird.

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