: Berlin schützt europäische Daten
In Grunewald wurde eine Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz eröffnet. Sie soll auch die Beitrittsländer der EU beraten. Innensenator Körting und Experten warnen vor dem Datenhunger des Staates und der Wirtschaft
Grün und saftig wuchern die Büsche der Grunewaldvillen in den Vorgärten. Sich die Üppigkeit der Natur zu Nutze machend, verhindern die Bewohner der Bismarckallee mit Thuya und Tanne neugierige Blicke auf ihr Leben. Was Passanten immer noch fern hält, schafft die Kommunikationstechnolgie spielend: Jeder Kreditkartenbenutzer, Preisrätselteilnehmer, Internetsurfer, Kontoinhaber ist längst zum gläsernen Bürger geworden. Unvermeidlich hinterlässt die Bewältigung des Alltags überall elektronische Spuren. Und die werden – weltweit – immer begieriger gespeichert.
Datenschutz und seine wünschenswerte Kehrseite, die Informationsfreiheit, sind zunehmend problematisch. Und das keineswegs nur in Deutschland. Sinnvoller Schutz vor Datenklau und ein transnationales Recht auf Information sind schon jetzt Aufgabe einer stärker werdenden Europäischen Union. Die EU-weite Zusammenarbeit der Behörden und deren Dialog zu fördern ist demnach Ziel der gestern im Grunewald eröffneten „Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz“.
Berlin als Standort wurde unter anderem deshalb gewählt, erklärte der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka in seiner Eröffnungsrede, weil die Akademie auch dem Gedankenaustausch mit mittel- und osteuropäischen Partnern dienen soll. Weitere Ziele der von Garstka ins Leben gerufenen Institution sind staatsübergreifende Fortbildung, Mitwirkung bei der Rechtsangleichung in Beitrittsländern sowie die Pflege von Kontakten mit dem Ausland.
Der zur Eröffnung angereiste EU-Datenschutzexperte Stefano Rodotà nannte die Akademiegründung eine „maßgebliche Initiative“. Er verwies auf die vormals weit reichende Bedeutung des Volkszählungsurteils des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts von 1983, das den Datenschutz aus dem im Grundgesetz verankerten Persönlichkeitsrecht abgeleitet hatte.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) nannte die europaweite Rechtsangleichung beim Datenschutz ein wichtiges Ziel. Denn „unübersehbar wachsen die Datenberge nicht nur bei den Staaten, sondern auch bei den Privaten“. Der gelernte Jurist forderte angesichts des einsetzenden europäischen Wettbewerbs eine EU-weite einheitliche Regelung beim Einsichts-, Auskunfts- und Löschungsrecht für Daten. Der technische Fortschritt, warnte Körting, überfordere das Verständnisvermögen der Bürger. Er verwies auf die digitale und gentechnische Revolution und die damit verbundenen Gefahren umfassender Datensammlungen. „Datenschutz bleibt nur möglich, wenn die Schützer ebenso über den technisch höchsten Stand verfügen wie die Datensammler“, sagte Körting.
Joachim Jacob, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, forderte angesichts der verstärkten Schutzbestrebungen gegen die organisierte Kriminalität und den Terrorismus neue Impulse auf europäischer Ebene. Und: „Wir brauchen europaweit einen geregelten Datenaustausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“, sagte Jacob.
Erst vergangene Woche hatte die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, vor dem neuen Datenhunger des Staates gewarnt. Ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis fördere eine zunehmende Bedrohung des Persönlichkeitsschutzes der Bürger. Sie forderte, den Datenschutz in das Grundgesetz aufzunehmen. „Angesichts des weltweiten Siegeszugs des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist es schwer nachvollziehbar, dass er im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird“, sagte Limbach in Berlin bei einem Festakt zum 25-jährigen Bestehen des Bundesdatenschutzgesetzes. ADRIENNE WOLTERSDORF
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