: Fußball-WM: Paradies mit therapeutischen Effekten
Werden nun auch Wahlkämpfe nur noch im Privatfernsehen übertragen? Möglich, die Deutschen murren, meckern und mucken kaum. Standbildradio setzt sich durch
Es gab immer zwei Sorten Paradies in diesem Land: Eine war, dass die Fußballweltmeisterschaft praktisch rund um die Uhr abgehalten und auf allen Kanälen ununterbrochen übertragen werde, und die andere, dass sie in irgendeinem fernen asiatischen Land unter Ausschluss der hiesigen Öffentlichkeit stattfindet.
Die zweite ist jetzt Wirklichkeit geworden, mit deutlich familienstabilisierenden, geradezu therapeutischen Effekten. Der Dank dafür gebührt natürlich keinem anderen als dem oft geschmähten, jetzt schwer angeschlagenen Medienmogul Leo Kirch, der die Welt-Übertragungsrechte einfach weggekauft hat, um sie dem kleinen Zirkel seiner Pay-TV-Gemeinde zu überlassen. Kein Aufschrei geht durchs Land, die Deutschen, ihrer angeblich wichtigsten Nebensache beraubt, sie murren, meckern und mucken kaum, sondern schicken sich ohne weiteres drein – anders übrigens als in den 60er-Jahren, in der DDR, als die SED-Kommunisten in Leipzig bei der „Operation Ochsenkopf“ kurzerhand alle Fernsehantennen auf den Hausdächern umdrehten, um den Empfang des Westfernsehens unmöglich zu machen.
Wie groß war seinerzeit die Empörung, von Unterdrückung, Entrechtung und Freiheitsberaubung wurde gesprochen – und wie einvernehmlich, gütlich und entspannt läuft der Laden dagegen heute unter der kommoden Knute des Kapitals.
Das öffentlich rechtliche Fernsehen über die WM ist – abgesehen von einem Alibispiel pro Tag – zu einer Art Radio mit Standfoto geworden. Es gibt keine Spielzüge zu sehen, keine Slowmotion, keinen Blick auf die Trainerbank und keine Bilder vom Torschuss aus 15 Perspektiven. Lediglich ein passbildgroßes Foto des Torschützen gibt’s, das ist alles.
Die Berichterstattung hat die Anmut einer Zeit, die noch vor die Erfindung des Stummfilms datiert werden muss. Fast möchte man bedauern, dass ARD und ZDF nicht auch das Geld für die Fotorechte ausgegangen ist – womöglich würden wir Bleistiftzeichnungen im Stil deutscher Gerichtsreportagen im Fernsehkasten betrachten können.
Schade, denn ein Blatt mit dem Titel „Rote Karte für Ramelow“, gezeichnet von F. W. Bernstein, zeigend das Ensemble von Sünder, Schiedsrichter und Unschuld signalisierendem Michael Ballack – das hätte man doch sehr gern ausgiebig, fünf Minuten in Großaufnahme im Fernsehen, studieren mögen.
Wenn so die Zukunft des deutschen Fernsehens aussieht – dann her damit! Warum den „Tatort“ nicht ins Pay-TV abschieben, und die ARD sendet am Sonntagabend stattdessen ein Phantombild der Täterin, versehen mit dem Hinweis: „… in der 83. Minute stellte Kommissar Bienzle die Supermarkt-Exhibitionistin im Kühlregal“. Warum Sabine Christiansen und Gäste nicht mal ohne Ton als Sammelbildchensammlung wegsenden?
Auch der eminent investigative Beckmann müsste sich von der Kamera nicht ständig softpornomäßig umrunden lassen – ein Foto von ihm, das sich vor der Kamera dreht, genügte völlig. Sogar Tierfilme ließen sich erheblich auffrischen. Man nehme nur den Gesang der Wale und tausche das Beckmannfoto gegen das Bild von irgendeinem Schleierschwanzguppy aus, und die Quote stimmt.
Fernsehen könnte so schön sein. Warum kaufen Murdoch, Bertelsmann oder die WAZ-Gruppe nicht einfach die Übertragungsrechte am kommenden Bundestagswahlkampf auf? Politik ist ja, wie wir aus zahllosen Affären immer wieder erfahren, ebenso käuflich wie Fußball. Um viel mehr als um Haken, Finten, Einwürfe und manchmal auch Schüsse geht’s doch dabei auch nicht.
Freaks sollen sich eben in ihre Muffkneipen begeben, wo das zähe Geschehen rund um die Uhr im Wahlkampfstudio auf Premiere läuft. Wenn die unvergleichliche Renate Künast redet, können in den Innenstädten ja Großbildschirme aufgestellt und mit Bioeiern beworfen werden. Die Frage nach der Attraktivität der Politik, sie würde sich jedenfalls ganz neu stellen. Nur wer bereit wäre, zu zahlen, wird sich noch an ihr erfreuen dürfen.
Sehr schön wäre übrigens auch, wenn sich Leo Kirch in einem letzten Geniestreich die Rechte an Gerhard Delling und Günter Netzer gesichert hätte, so dass die ARD diese beiden Standby-Kommentatoren ebenfalls nur als kleines Foto (mit noch kleinerem Torschützenfoto im Hintergrund) senden dürfte.
Wenn man jetzt noch ein Foto von seinem Fernseher knipst und anstelle des Geräts in die Zimmerecke hängt – dann fehlt eigentlich nur noch ein Kasten Bier, Erdnüsse und Chips, und die Party kann steigen.
RAYK WIELAND
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