einsatz in manhattan: Das Museum of Modern Art zieht nach Queens
Von einem Land ins andere
Ausgerechnet dem Besucher des New Yorker Stadtteils Queens bietet sich ab nächsten Samstag der aufregendste Gemäldereigen der europäischen Moderne, den derzeit weltweit ein Museum zu bieten hat. Van Goghs „Sternennacht“, Cézannes „Badender“ und Picassos „Desmoiselles d’Avignon“ sind in der neuen Heimat des New Yorker Museum of Modern Art gleich hinterm Eingang im Erdgeschoss so gehängt, dass sich die drei Schlüsselwerke auf einen Blick dem Betrachter erschließen. Die Ikonen der Moderne prangen zwar wie gewohnt vor der weißen Wand, der Besucher schreitet aber nicht mehr auf Marmor, sondern auf Waschbeton umher, und in sieben Meter Höhe schlängeln sich bloßgelegte Heizungsrohre durch die Räume. Van Gogh, Cézanne und Picasso werden im Rahmen von „To be looked at“ gezeigt, einer bis Mitte 2005 ständig wechselnden Ausstellung, die auf nur 650 Quadratmetern die Perlen aus den knapp 100.000 Exponaten des MoMA präsentiert. Und zwar im Fabrikgebäude der alten Swingline Staple Factory in Queens, wohin es das beim Laufpublikum beliebteste Museum Manhattans für drei Jahre verschlagen hat. So lange, bis auf der 53. Straße die Arbeiten am Neubau des japanischen Architekten Yoshio Taniguchi beendet sind, der die Gesamtfläche des MoMA auf 60.000 Quadratmeter erweitert. Allein ein Viertel dieser Fläche ist für die permanente Sammlung vorgesehen. Kostenpunkt des Neubaus und der temporären Umsiedlung: 650 Millionen Dollar. Seit 1997 treibt man die Gelder dazu auf, nur rund 100 Millionen gilt es jetzt noch einzusammeln.
Der Umzug nach Queens, darüber macht man sich keine Illusionen, kostet Besucher. Kamen davon bisher rund zwei Millionen jährlich, so geht man in den nächsten Jahren von maximal 400.000 aus. Dass man sich um ausbleibende Touristen weniger Sorgen macht als um einheimische Kunstliebhaber, bestätigt MoMA Kuratorin Angela Lange: „Der Sprung über den Atlantik nach Queens fällt leichter als der von Manhattan aus. Das kostet eine mentale Überwindung.“ Karen Davidson, Vizedirektorin des Planungsstabs, setzt noch eins drauf: „Fast ist es so, als würde man von einem Land in ein anderes ziehen.“ Im Selbstversuch bestätigt sich die Behauptung. Wer mit dem Number 7 Train von Manhattan aus über den East River nach Queens fährt, kommt in eine andere Welt. Hinter dunklen Autoscheiben tönt HipHop, vom Himmel dröhnen die Flugzeuge in der Einflugschneise des Flughafens JFK, die überirdisch verlaufende Subway rattert an Halden von Wohlstandsmüll und ausrangierten Eisenbahnen vorbei: Suburban Wasteland pur, massiv Grafitti inklusive, keine fünfzehn Minuten von Manhattan. Und mittendrin MoMA QNS, in einem riesenhaften, sattblau gestrichenen Betonklotz ohne Fenster. Ein größeres Kontrastprogramm zum poshen Luxus des bisherigen Museumsstandorts lässt sich nicht ausmalen. MoMA in Queens, das ist etwa so, als würde die Nationalgalerie ihre besten Werke in einer Lagerhalle in Marzahn-Hellersdorf zur Schau stellen.
Und doch. So urdemokratisch gab sich New Yorks Museumswelt bisher höchstens in ihren Geburtsstunden. Mit viel Werbegeldern, Kaffeefahrten und Shuttle-Bussen soll den Bürgern Manhattans der Weg ins Unbekannte gratis gebahnt werden. Dazu gibt es ein Feuerwerk am Eröffnungswochenende vom 29. Juni, eine Straßenparade vom bisherigen ins neue MoMA, einem Lichtbogen von Manhattan nach Queens und ein aufwändiges Büchlein, worin Hundefotograf William Wegmans unverwüstlicher Weimaraner Chip den rechten Weg weist. Doch auch von der anderen Seite, von Queens aus, könnte mit der Zeit vielleicht ein ganz anderes Publikum ins MoMA finden, eines, das sonst nie nach Manhattan fahren würde, schon gar nicht, um sich dort Kunst anzuschauen. Eine Umfrage in den Bodegas, den Scheckwechselstuben und bei den fliegenden Händlern im unmittelbaren Umkreis des neuen Museums bestätigt derzeit zwar noch wenig Interesse am MoMA QNS, dem New Kid on the Block. Höchstens auf die große Eröffnungsparty, die am Freitag stattfindet, wollen manche kommen und wundern sich über ausbleibende Freikarten. Auf Anfrage versichert die Pressesprecherin, dass alle Nachbarn eingeladen würden, die Briefe seien eben raus. Immerhin ein Anfang.
Vor über 80 Jahren, im März 1920, eröffnete die 43-jährige Künstlerin, deutsche Immigrantin und wohlhabende Aktivistin Katherine Sophie Dreier gemeinsam mit Man Ray und Marcel Duchamp einen Raum für zeitgenössische Kunst unter dem Namen Société Anonyme, der im Untertitel den Namen Museum of Modern Art trug und von dem 1929 gegründeten MoMA stibitzt wurde. Nun, nach seinem Umzug nach Queens, wäre im Hinblick auf den zeitweiligen Verlust des Bekanntheitgrads vielleicht auch der Titel Société Anonyme passend. Was der Sache keinen Abbruch tut. Denn was nicht ist, kann ja noch werden, und Überlegungen, die Dependance nach der Fertigstellung des Neubaus in Manhattan zu halten, gibt es bereits. Glenn D. Lowry, Direktor des MoMA, sagte: „Es wäre dumm, da einfach die Lichter auszumachen, wenn wir wieder zurück nach Manhattan gehen.“
THOMAS GIRST
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