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Zeit, Angst, Ich

Der Abend „Leben ohne Angst zu haben“ stellt Fragen zu zeitgenössischer Musik – und darüber hinaus

Die Welt ist so und so, also hört bitteschön, nicht so harmonisch. So ungefähr spräche, meint der Philosoph Volker Caysa, die zeitgenössische Musik. Hätte sie eine Stimme. Hat sie aber nicht. Jedenfalls keine, die in und mit gewohnten Begriffen spricht. Obwohl Klang – mitunter gewiss fahrig, flüchtig, rau und kryptisch anmutender Klang – will sie zur Sprache gebracht sein. Dies jedenfalls gehört zu einem Abend, der neben Musik auch aus Worten besteht, die sich wiederum auf die Musik beziehen. Im Idealfall kommentiert Text eins Text zwei – und umgekehrt.

Denn Musik ist vor-, über- oder metasprachlich. Und das begleitende Wort hat den Vorteil, Einstiege zu erleichtern – weil man so ganz ohne Begriffe ja auch schlecht kommunizieren kann. Nun geht es bei diesem Abend aber nicht um: Sie haben dies gerade so gehört, weil dies jenes bedeutet und anderes nicht... Eher schon ist dieser Abend ein Versuch, grundlegende Phänomene der Moderne aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten: Zeit, Angst, Ich.

Denn wie anderswo auch wurden in der Musik des 20. Jahrhunderts „große Erzählungen“ verabschiedet (und manchmal auch durch neue ersetzt). Und auch wenn man der radikalpsychologischen Sichtweise nicht unbedingt zustimmen muss, derzufolge Kunst letztlich immer das Produkt individueller und kollektiver existenzieller Ängste ist, mag doch etwas dran sein, dass für die Moderne, wie Heiner Müller einmal schrieb: „der Zeitfaktor entscheidend“ ist. Musik ist gestaltete, in Form gebrachte Zeit. Vielleicht ist auf dieser Ebene auch mehr zu holen in Sachen Kunst vs. Welt, als in den ewigen und langweiligen Debatten, was denn nun was „abbildet“.

Hört nicht so harmonisch. Harmonisch klingen die Werke von Christoph Ogiermann, Bernhard Lang, Alvin Lucier und Dror Feiler gewiss nicht. Der gegen das „Draußen ist feindlich“ gesetzte Ton mag eine Art Schutzraum abgeben, ohne deswegen im herkömmlichen Sinne „schön“ zu sein. In Titeln wie „Differenz/Wiederholung“, „Ever Present“ oder „das muss alles nochmal radikal FORMALISIERT werden/weil ich Angst hab“ deuten sich die Auseinandersetzungen der Komponisten mit Themen wie Angst, Nichts und Zeit schon an.

Bedeutet eine Partitur beliebige Wiederholbarkeit? Welche Rolle spielt die erwünschte (oder auch sich zwangsläufig ergebende) Improvisation? Von diesen musikalischen Fragen ausgehened, bringt Caysa in seinem Vortrag die Musik gewissermaßen nochmal zum Rest der Welt. „Diese Musik scheint eine Zeit zu erinnern, eine Eigen-Zeit zu wiederholen, die uns fremd ist“.

Tim Schomacker

„Leben ohne Angst zu haben“. Konzert und Vortrag im Sendesaal von Radio Bremen, 20 Uhr

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