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Götterdämmerung

Nach dem frühen Scheitern von Andre Agassi und Pete Sampras spekuliert die Tennisszene über die Zukunft der ehemaligen Wimbledon-Sieger

aus Wimbledon DORIS HENKEL

Am dritten Tag in Wimbledon brach die Dämmerung herein, und die Zeit stand still für ein Weilchen. Es war nicht so sehr die Tatsache, dass Andre Agassi und Pete Sampras innerhalb weniger Stunden in der zweiten Runde der All England Championships verloren, es ging vielmehr um das Wie und um den großen Zusammenhang. Kann es sein, dass dies mehr als nur der Anfang vom Ende war?

Es war erschütternd, den großen Pete Sampras so erschüttert zu sehen. Ihn ratlos und Hilfe suchend mit einem Zettel in der Hand in der Pause auf dem Stuhl sitzen zu sehen, einem Zettel seiner Frau. Was ist los mit dem ehemaligen Herrscher aller Klassen, wenn er bei seinem Turnier nicht mehr weiter weiß, wenn er Zuspruch braucht, wo er früher Schläge verteilte? Zugegeben, man hat sich in diesem Jahr fast schon daran gewöhnt, ihn verlieren zu sehen. Aber was das Schlimmste ist: er bemühte sich, das Blatt zu wenden gegen den emsigen Schweizer George Bastl, und alles Bemühen nützte nichts. Bei der Suche nach Gründen gab er eine verräterische Antwort: „Ich glaube, mein Name schüchtert die anderen nicht mehr so ein.“ Die alte Magie wirkt nicht mehr. Wenn die Götter vom Thron steigen, werden sie zu normalen Menschen, und normale Menschen verlieren nun mal.

Oder Agassi. Der wurde mit seinen eigenen Mitteln geschlagen, von einem furchtlosen Thai, der an der Grundlinie stand. Paradorn Srichapan, Nummer 60 der Welt, spielte Agassis Spiel, und der war ob der überaus flotten Niederlage in drei Sätzen vor allem schockiert, wie schnell das alles ging. Er weiß, wie sich die Dinge entwickelt haben. „Die Jungs heute sind größer, stärker, schneller. Alle wittern ihre Chance. Wenn du eine kleine Schwäche zeigst, dann bist du weg.“

Die Zeiten sind rau, und es wird allmählich Nacht. Müssen die Götter nicht Schlüsse ziehen? Die Frage lautet: Wann ist es genug?, aber eine Antwort zu finden ist unendlich schwer. „Es gibt kein Happy-End“, sagt Boris Becker. Dessen Karriere endete in 1999 in Wimbledon mit einer Niederlage im Achtelfinale gegen Patrick Rafter, womit er im Vergleich zu anderen Größen der Achtziger- und Neunzigerjahre noch gut bedient war. Ivan Lendl ging nach einer Niederlage in der zweiten Runde der US Open 94, Stefan Edberg schlich 96 in Wimbledon kurz vor Einbruch der Dunkelheit vom Platz, Ähnliches erlebten Jimmy Connors oder Mats Wilander.

Es gehört Glück dazu, den richtigen Moment zu erwischen, aber auch die Bereitschaft, loszulassen, was auf Dauer nicht zu halten ist. Das ist nicht jedem gegeben. Wie es mit Pete Sampras und Andre Agassi weitergehen wird, weiß keiner, vermutlich nicht einmal sie selbst. Sampras graut es vor den nächsten Wochen, so viel ist klar. „Ich weiß, wie das ist“, sagt er, „die Zeit heilt Wunden, aber erst mal sitzt du zu Hause und weiß nichts mehr mit dir anzufangen.“ Er hofft, den Schock aus Wimbledon spätestens bis zu den US Open Ende August überwunden zu haben, und genauso geht es Agassi.

Und dann? Selbst die ehemaligen Kollegen sind sich nicht einig. „Ich bin mir ganz sicher, dass Pete nicht so aufhören kann“, sagt John McEnroe, „wie es dagegen mit Agassi weitergeht, das ist die Eine-Million-Dollar-Frage.“ Becker widerspricht: „Ich glaube, die Chance, dass wir Andre hier noch mal sehen, ist größer als die bei Pete.“

Tja. Der Vorhang zu – und alle Fragen offen.

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