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Nur wenig öffentlicher Spielraum

betr.: „Weg mit dem CSD!“, taz vom 22. 6. 02

Trotz der weitgehenden Abwesenheit politischer Botschaften halte ich es jedoch nicht für richtig, den CSD abzuschaffen. Der Rosenmontagszug wird immerhin auch nicht abgeschafft, nur weil er keine politischen Botschaften transportiert. Es würde auch niemand auf die Idee kommen, Weihnachten abzuschaffen, nur weil die Leute heutzutage weniger gläubig sind als früher.

Auch wenn nun eine rechtliche Gleichstellung für Schwule und Lesben weitgehend erreicht ist, darf diese nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesellschaftliche Gleichstellung noch wichtiger ist für Selbstverwirklichung von Schwulen und Lesben. Was nutzt es, wenn ich meinen Partner zwar heiraten kann, aber man mir dennoch Schwuchtel hinterherruft, wenn ich die Straße überquere? Wem nutzt ein Adoptionsrecht, wenn er weiterhin Gefahr läuft, außerhalb des Ghettos zusammengeschlagen zu werden? Wer steht denn auf und widerspricht, wenn Norbert Geis Homosexuelle diffamiert? Tatsache ist doch, dass er mit seinen Äußerungen bei der Mehrheit Akzeptanz findet. Die sachliche und intellektuelle Auseinandersetzung zu schwulen und lesbischen Themen findet in Deutschland bisher auf Sparflamme statt. Mit diesem Anspruch sollte man meiner Meinung nach aber auch nicht an eine Parade oder ein Straßenfest herantreten. Politische Forderungen müssen in einem Umfeld geäußert werden, das nicht überwiegend aus Vertretern der eigenen Minderheit besteht. […] Gesellschaftliche Veränderungen erreicht man doch erst dann, wenn man schwul-/lesbische Belange gegenüber Heterosexuellen artikuliert. […]

Da neben der taz bislang jedoch die meisten ernst zu nehmenden Zeitungen in diesem Lande offenbar Vorbehalte haben, sich mit schwulen und lesbischen Themen auseinander zu setzen, bleibt einem intellektuellen Diskurs nur wenig öffentlicher Spielraum. Deshalb ist zumindest die Fortsetzung des CSD als Signal wichtig. Nicht so sehr im politischen Kontext, sondern um sichtbarer zu werden: In dieser Stadt sind wir heute präsent. Es gibt uns in sechsstelliger oder sogar siebenstelliger Anzahl. Und es gibt uns nicht nur in der Lindenstraße, sondern auch am Ku’damm.

BORIS FIEDLER, Dietzenbach

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