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Von Vivaldi zu Black Sabbath in wenigen Sekunden

Abgedriftet: Keigo Oyamada, unter dem Künstlernamen Cornelius der Chefeklektiker unter Japans Musikstars, gastiert im ColumbiaFritz

Vielleicht war ja die Schule schuld. Jene gewisse Schule, die in unserer Geschichte eine Rolle spielt, steht in Tokio und zeichnet sich vor allem durch eine unerhörte Frequenz von Schülerbands aus. Viele dieser Bands litten in den 80er-Jahren allerdings an akutem Gitarristenmangel, weshalb ein gewisser Keigo Oyamada seine Gitarre in gleich mehreren dieser Kapellen spielte, die möglichst exakt die Cramps oder Specials, The Smiths, The Jam oder auch erfolgreiche japanische Bands zu imitieren versuchten.

Gut anderthalb Jahrzehnte später ist Keigo Oyamada einer der bekanntesten Musiker Japans, nennt sich in dieser Eigenschaft Cornelius und hat den Wechsel zwischen den Genres weiter perfektioniert. Schon länger gehen „Die vier Jahreszeiten“ von Vivaldi bei Cornelius problemlos zusammen mit „Iron Man“ von Black Sabbath, covert er Bach und adaptiert Noise-Rock, liebt Robert Wyatt und Bossa Nova. Schon sein Vater spielte in einer Popband, die japanische Folklore und westlichen Rock 'n' Roll fusionierte.

So geht das auch auf „Point“, Cornelius’ aktuellem Album: Da folgt einem Song, der nicht nur „Bird Watching At Inner Forest“ heißt, sondern sich auch so anhört, unvermittelt und ohne Vorwarnung ein elektronisches Death-Metal-Experiment, das nicht umsonst den Titel „I Hate Hate“ trägt. Anschließend begeben wir uns nach „Brazil“: In der Coverversion vom Soundtrack des gleichnamigen Terry-Gilliam-Films wird die Samba-Seligkeit nur ansatzweise verfremdet.

Früher allerdings baute Cornelius solche Extreme schon mal in ein und denselben Track. Heute dauert der Weg von den Beach Boys über Napalm Death zu Astrud Gilberto nicht mehr Sekunden, sondern schon mal ein paar Minuten. Dieser trotzdem immer noch ganz schön wild rotierende Eklektizismus, so meint auch der Künstler selbst, könnte eine typisch japanische Herangehensweise sein. Das aktuell zurückgegangene Zitataufkommen allerdings lässt sich wohl auch mit dem Alter erklären, denn mittlerweile ist auch Cornelius 33 Jahre alt und hat es mithin nicht mehr ganz so eilig.

Als schwer gefragter Remixer hat Cornelius sich ausgiebig mit Pop beschäftigt. Das kann man auf „Point“ hören, wenn mancher Track abzudriften droht in Beliebigkeit. „Fly“ dürfte selbst den High Llamas zu verträumt sein. Gerettet wird dieses wie besoffen um sich selbst kreisende Stück Wohlbefinden von einem penetranten Meeresrauschen, das man als Distanzierung vom eigenen Klischee hören könnte. Dass seine Musik im Westen als ironisch interpretiert wird, kann Cornelius selbst nicht so recht verstehen. Die Ironie sei in Japan eine wenig gelittene ästhetische Praxis, seine Absichten stattdessen vollkommen ehrenhaft. Ich liebe jede Musik, erklärt er.

So viele verschiedene Musiken auf einmal zu lieben ist allerdings eine Aufgabe, die kaum ein einzelner Mensch bewältigen kann. In einem Interview sagte denn auch Keigo Oyamada über sein Alter Ego, die Beziehung zwischen ihm und Cornelius sei in letzter Zeit recht harmonisch. Das kann man hören auf „Point“ und nun nur noch den beiden wünschen, dass es ihnen weiter gut geht zusammen.

THOMAS WINKLER

1. 7., 20.30 Uhr, ColumbiaFritz

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