: Deutscher Beamtenfußball
betr.: „Kahn ja mal passieren“ u. a., taz vom 1. 7. 02
Warum sind die Deutschen würdig und verdientermaßen Vizeweltmeister geworden? 1. Zu wenig Mut zur „Flügel-Politik“. Wie Schröder und Stoiber meist durch die Mitte. 2. Wer Angst vor Fehlern hat, macht gerade welche – wie Kahn. Wer keine Angst hat, schießt ein „lehrbuchwidriges“ Pieke-Tor wie Ronaldo gegen die Türkei. Fehler sind nicht zu vermeiden, sondern menschlich und mögliche Quelle des Kreativen. 3. Kahn symbolisierte die aktuelle deutsche Angst: So viel Angst vor Gegentoren wie die Politik vor Reformen, die wehtun. 4. Bastürk und Manziz treffen für die Türkei statt für Deutschland. Die Ergebnisse der fragwürdigen Einbürgerungs- und Einwanderungspolitik der Regierung Kohl. 5. Samba enthält mehr Sex als Marsch und Walzer. „Mr. Sex“ Michael Ballack fehlte überall. Warum ihn die Bayern wohl holen?
[…] Nur wer verlieren kann, kann auch siegen. Das können die Deutschen von den Brasilianern und besonders von Ronaldo lernen. JENS KOCH, Stelle
Als der entthronte King Kahn nach dem Schlusspfiff gegen Brasilien ganz Mensch Kahn sinnentleert am Torpfosten lehnte, da kam mir Madonnas The Power of Good-Bye in den Sinn und mir fiel es wie Schuppen von den Augen, dass dieses Lied eine Hymne für Oliver Kahn sein muss. […]
Nie warst du mir näher und sympathischer als in diesem Moment, lieber Oliver Kahn. Nie zuvor habe ich dich überhaupt verehrt. Aber da warst du mein absoluter Held. Ehre die Erfahrung, die du machen durftest. Es gibt so viele da draußen auf der anderen Seite des Lebens, die immer wieder danebengreifen, deren Träume ein ums andere Mal platzen und die ständig mit leeren Händen dastehen – nur ohne dass es irgendeinen interessiert.
CHRISTIAN HEINISCH, Nürnberg
Mir hat es richtig gutgetan, dass der deutsche Beamtenfußball mal richtig vorgeführt wurde! Das war halt mal wieder deutscher Fußball nach Vorschrift! (Dienst nach Vorschrift)
Die Brasilianer spielen halt besser, haben die schöneren Frauen, sind wahrscheinlich die ausdauerndsten Liebhaber, können besser feiern und tanzen und auch mit einer Niederlage leben. Wir Deutsche dagegen werden ab morgen wieder unser Heil den Krankenkassen aufbürden, indem wir uns Pillen gegen Minderwertigkeit verschreiben lassen! WERNER BRENIG, Koblenz
betr.: Titelblatt („Fürchtet euch nicht!“ [Einst brachte Schwester Kunigunde Rudi Völler imHeilig-Geist-Kindergarten im hessischen Hanau das Laufen bei …]), taz vom 29. 6. 02
Danke für das große Dokumentarfoto auf dem Titel. Was wird nun Frau Schavan dazu sagen, dass ausgerechnet im unionsregierten Hessen Erzieherinnen das Kopftuch tragen dürfen? Oder wird da doch zwischen christlichen und islamischen Kopftüchern unterschieden? JÜRN-HINRICH VOLKMANN, Berlin
betr.: „Die Tugend, zu gewinnen“, taz vom 1. 7. 02
Dass der Fußball nicht nur Bälle, Beine und Herzen, sondern auch Gedanken beflügeln kann, daran hat Thomas Fatheuer mit seinem Bericht aus Brasilien ganz wunderbar erinnert. Das ist umso schöner, als hierzulande das Denken beim eintönigen Mantra von Leistung, Gemeinschaftsgeist und der Wirkungsmächtigkeit des starken Willens schon wieder aufhört. Wie viel Wirtschaftswachstum und welchen Kanzler stauben wir nun ab von diesem Erfolg. Die Banalität der prompt einsetzenden Diskursmaschine ist umso schlimmer, als ihre Protagonisten, anders als die auslösenden Jungs, von ihrer Mittelmäßigkeit nicht einmal etwas ahnen. Gerade weil die emotionalen Erschütterungen des Fußballs weltweit dank ziemlich perfekter Massenmedien spielend Länder-, Religionen- und Geschlechtergrenzen überwinden, verdienen sie intellektuelle Zuwendung.
Exotisches Glitzern in den Kameras einerseits, anschwellender Nationalstolz angesichts halbwegs friedlich geschwenkten Schwarz-Rot-Golds andererseits verstellen den Blick auf eine emotionale Produktionskraft, die die Menschen, trotz aller nationalen Symbolik, jenseits des Nationalen bewegt. Dem Verweis auf das Ideale, im Licht der Höhlenwand gesichtet, lässt sich die Geburt der Tragödie aus dem Geist einer sich selbst als solcher erkennenden Menschheit hinzufügen. So gesehen kann Fußball die Tragödie der Globalisierung sein. Cafu mit dem Kelch zu sehen ist darauf ebenso ein Hinweis wie die Erzählung von der Wiedergeburt des Ronaldo oder die von der Achillesferse eines Unbesiegbaren. GABRIELE KÄMPER, Berlin
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