: Keine Repertoire-Musik
Übliche Verdächtige, große Namen und manch entdeckenswerte Newcomer: Am Wochenende wird das schleswig-holsteinische Salzau wieder Schauplatz von „JazzBaltica“, dem einzigen diesjährigen Jazzfestival im Norden
von TOBIAS RICHTSTEIG
Auf den Tag genau vor zehn Jahren am 5. Juli starb Astor Piazolla in Buenos Aires an den Folgen eines Schlaganfalls. Der Bandoneonist hatte mit seinem Quintett unter dem Stichwort „Tango Nuevo“ eine Renaissance der traditionellen argentinischen Musik eingeleitet. Am heutigen Donnerstag eröffnet sein Pianist aus alten Tagen, Pablo Ziegler, mit einer Hommage an den großen Tangoista in Kiel die zwölfte JazzBaltica.
Zur gleichen Zeit bringen noch zwei weitere Auftaktkonzerte (in Husum und Flensburg) den Jazz nach Schleswig-Holstein, bevor das Festival von Freitag bis Sonntag im Landeskulturzentrum Salzau im Kreis Plön Quartier bezieht. Zwischen Konzertscheune und dem Herrenhaus mit seinem JazzCafé feiern dann Jazzfreunde aus dem Norden Deutschlands einen Konzert-Marathon, der sich aber im rustikal-gehobenen Ambiente durchaus genießen lässt. Denn das Programm setzt bemerkenswerte Akzente.
Auf den ersten Blick erscheint das Personal des JazzBaltica-Programms wie eine Liste der üblichen Verdächtigen im Festivalzirkus. Der Saxophonist Wayne Shorter ist „Artist in Residence“ an allen drei Festivaltagen in Salzau, die Pianisten Herbie Hancock und McCoy Tyner zollen ihren Lehrmeistern Miles Davis und John Coltrane Tribut, die beide heute 75 Jahre alt wären und deren musikalische Revolutionen mittlerweile den Mainstream des Jazz bestimmen.
Längst ausverkauft ist das Konzert der vier Superstars John Scofield, Joe Lovano, Dave Holland und Al Foster. Seit zwei Jahren touren diese Global Player des Groove-Jazz als Quartett über die Sommer-Festivals und entspannen sich von ihren Jobs als weltbekannte Bandleader. Doch auch, wenn dieses erste Juliwochenende das einzige große Jazzfestival im Norden bleiben wird, da in diesem Sommer das Technics Jazzport wegen Umzugs in die Hafencity ausfällt, sind es doch gerade die etwas „kleineren“ Namen, die den Weg nach Salzau nahelegen.
Den Anfang macht am Freitag das Geir Lysne Listening Ensemble, dessen Name man einmal laut lesen sollte. Schon im vergangenen November präsentierte die norwegische BigBand um den Saxophonisten Geir Lysne ihren „nördlichen“ Sound im Hamburger Jazzclub 13a. Die 20 Musiker verstehen sich als Gegenentwurf zur amerikanischen BigBand-Tradition, eine Verwandtschaft kann man eher zu den polyphon komplexen Orchestern von Gil Evans oder Palle Mikkelborg erkennen. Die sympathische Band war inzwischen auch wieder im Studio, so dass man in Salzau ein neues Programm des Listening Ensemble erwarten darf.
Zwischen der NDR-BigBand mit Wayne Shorter und dem Superquartett Scofield/Lovano/Holland/Foster werden am Sonntagnachmittag auch die Newcomer Firomanum zum Zuhören einladen. Die jungen Musiker aus Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein experimentieren zwischen Elektronika, Freier Improvisation, Jazz und Pop. Die Bassistin Eva Kruse ist sonst im Tied & Tickled Trio tätig, Saxophonist Niels Klein in der Studioband von Stefan Raabs TV Total. Und wenn sie auch schwer einzuordnen sind und konservativere Jazzfans wohl eher noch mal draußen Luft schnappen gehen werden – humorvoll und spannend sind Firomanum in jedem Fall hörenswert.
Auch die Konzerte des Klarinettisten Don Byron mit seiner afro-kubanischen Band Music For Six Musicians (Sonnabend) oder Nils Landgrens Balladen-Projekt mit dem Fläskkvartetten (Fleischquartett) am Sonnabend, selbst die Blue Eyed Soul-Show des Schmuse-Trompeters Till Brönner (am Freitagabend) stehen für die zeitgenössische Entwicklung, die im Salzauer Programm durchaus auch vertreten ist. Jazz ist hier nicht länger nur eine sorgsam gehütete Repertoire-Musik, deren Stilkunde kritisch zu beachten ist. Sicher ist es nicht die Aufgabe von JazzBaltica, neue Definitionen für das Genre anzubieten (und so recht passiert das auch nicht). Immerhin bleiben aber Niveau und Unterhaltung hier auch keine getrennten Gegensätze wie üblich.
JazzBaltica in Salzau (Kreis Plön): Freitag–Sonntag, tagsüber Open Air, abends Konzertscheune bzw. JazzCafé/Schloss; weitere Konzerte in Husum, Kiel und Flensburg; Tickets ☎ 0431-570470, gesamtes Programm unter www.jazzbaltica.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen