: Altenpflege rotiert
Die Bremer Heimstiftung geht gegen den Pflegenotstand an: Per Job-Rotation werden Hilfskräfte qualifiziert
Für Constanze Nieburg sind die Auswirkungen des Bremer Modellprojektes „Job-Rotation in der Altenpflege“ auch körperlich spürbar. „Ich habe deutlich weniger Rückenschmerzen beim Heben“, sagt die 37-jährige, die bei einem ambulanten Pflegedienst arbeitet und sich nun weiter qualifiziert hat. Die Bremer Initiative ist eines der wenigen Modellprojekte gegen die dramatische Personalnot in Deutschlands Altenpflege.
Lebensbedrohliche Druckgeschwüre, alte Menschen, die unbemerkt aus Heimen weglaufen oder mit Tabletten ruhig gestellt durch den Tag dämmern, bestimmen die Schlagzeilen in der Diskussion um den Personalmangel. Während die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt, suchen Altenheime überall in Deutschland verzweifelt nach Fachpersonal.
Der Deutsche Pflegeverband beziffert den Bedarf auf bundesweit mindestens 100.000 Kräfte.
Die Bremer Heimstiftung hat zusammen mit der örtlichen Arbeitnehmerkammer und gefördert von der Bremer Landesregierung reagiert. „Wir haben einfach nicht genügend qualifizierte Bewerber. Also qualifizieren wir die, die wir haben“, beschreibt Elin Guski, Leiterin der Altenpflegeschule der Heimstiftung, das Prinzip.
Angelernte wie Nieburg werden in dem bundesweit einmaligen Rotationsmodell berufsbegleitend zu staatlich anerkannten Altenpflegehelferinnen ausgebildet. Möglich wird das Projekt auch durch Zuschüsse aus Brüssel: Während die Beschäftigten aus dem Europäischen Sozialfonds bezahlt werden und für die Ausbildung vom Betrieb freigestellt werden, treten an ihre Stelle arbeitslose Bewerber, die sich zeitversetzt ebenfalls qualifizieren. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) fordert grundsätzlich eine bundeseinheitliche und an modernen Standards orientierte Ausbildung, um dem Mangel abzuhelfen. Dass eine entsprechende Gesetzesinitiative auf Antrag Bayerns vom Bundesverfassungsgericht vorerst gestoppt wurde, ist für KDA-Pflegeexpertin Christine Sowinski „gerade in Zeiten der Personalnot ein Skandal“. Die Verhandlung in Karlsruhe hat Ende Juni begonnen. Der Termin für eine endgültige Entscheidung des Gerichts steht allerdings noch nicht fest. Die Bremer lassen sich von diesem Rückschlag allerdings nicht beeindrucken. In einer zweiten Stufe sollen die staatlich anerkannten Helferinnen zu examinierten Altenpflegerinnen qualifiziert werden. „Früher habe ich die alten Menschen viel zu viel betüdelt. Heute kann ich meine Kräfte besser für eine aktivierende Pflege einsetzen und habe mehr Sicherheit gewonnen“, sagt Nieburg. Sie kann als anerkannte Pflegekraft demnächst mehr Geld verlangen und will auf jeden Fall weitermachen. epd
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen