piwik no script img

Die Karriere der Sauerlappen

Der Rollmops: Fels in der Brandung der Rationalisierung – bei Abelmann in Bremerhaven entstehen Möpse für den gehobenen Geschmack. Eine Reportage von Susanne Gieffers (Text) und Laura Marina (Fotos)

it einer großen Schaufel langt sie ins blaue Plastikfass, aus der trüben Brühe tauchen hunderte grau-silbrig glänzender Heringsfilets ans Neonlicht der großen Halle, mit lautem Klatschen landen sie auf dem Stahltisch und schnelle Frauenhände greifen in ihre Mitte, nehmen einen nach dem anderen „Sauerlappen“, so heißt das mindestens 35 Tage lang in Essig und Salz eingelegte Heringsfilet im Fischdeutsch. Gurke drauf, dann wird gerollt, schön fest, das ist der Trick, zwei Holzspicker rein und rüber auf den großen Haufen der anderen Rollmöpse.

Der Rollmops scheint eigens geschaffen für den heißen Sommerabend und den kalten Katerkampf am Morgen danach. Der Rollmops ist Fels in der Brandung der Rationalisierung – er ist Handarbeit und wird es auch immer bleiben. Zu unterschiedlich die Fische, aus deren Leib der Mops entsteht, als dass Maschinen ihrem unterschiedlichen Gewicht, ihrer Kürze oder Länge gewachsen wären.

Rollmöpse rollen ist Frauenarbeit. „Frauen können das besser“, sagt Lars Gieseking, „das ist eine verantwortungsvolle Arbeit, für die das richtige Gefühl nötig ist.“ Lars Gieseking ist Prokurist der Firma Abelmann in Bremerhaven. „Männer können das genauso“, sagt die Frau, die einen Stock tiefer in der großen Halle steht und Möpse rollt, „genauso wie sie backen und kochen können.“

Abelmann in Bremerhaven. Am Lunedeich, endlose Straße gen Norden, Hallen von Frosta, von Nadler, von anderen Fischproduzenten, irgendwann geht die Heringstraße links ab und viel weiter geradeaus, da beginnt die Reihe alter Backsteingebäude – einst Packhallen, heute beherbergen sie kleinere und größere Fischfabriken.

Abelmann gehört unter den Kleinen zu den Größten. Rund hundert Menschen arbeiten in dem Familienbetrieb, den die Brüder Heinrich und Johannes Abelmann vor 50 Jahren gegründet haben und den Johannes Abelmann, weit über 70, noch heute führt.

Er residiert in einem großen Büro im ersten Stock, Schiffsmodelle unter Glas, Häfen, Fisch und wütendes Meer in Öl – Macht und Bewusstsein einer Verantwortung strahlt dieser Raum aus. Verantwortung für ein Unternehmen, für eine Aufgabe: den Hering und die Menschen, die ihn verarbeiten.

Rund 100 Tonnen Hering verarbeitet Abelmann alljährlich zu Hering in Dillremoulade, in Meerrettich-Remoulade, in Curry, in Aspik, zu Brathering, Rollmops mit und ohne Haut, zu Bratrollmops und zu noch viel mehr, gut 100 Produkte umfasst das Sortiment der Abelmanns. Im Laden um die Ecke steht nichts von Abelmann – er beliefert Feinkostläden und die Gastronomie. „Es kann durchaus sein, dass der Bismarckhering, der Ihnen im KaDeWe in Berlin gereicht wird, von Abelmann kommt“, sagt Lars Gieseking, und in seinen Worten klingt Stolz.

Die Großen, so wie Nadler, Rollmopskönige des Einzelhandels, produzieren längst nicht mehr in Deutschland, sondern in Polen oder im Baltikum. Gieseking war kürzlich da, hat sich angeguckt, wie es zugeht bei der Heringsverarbeitung in Litauen und kann an der Produktionsweise nichts Schlechtes finden – außer dass sie weit entfernt von Deutschland stattfindet. Und weil sie gegen diesen Trend der Globalisierung eh' chancenlos sind, haben sich die Leute von Abelmann eine Nische gesucht: die des gehobenen Geschmacks. Rollmops ist nämlich nicht gleich Rollmops. Und Seelachs nicht gleich Seelachs.

In großen stählernen Bottichen am hinteren Ende des langgezogenen Backsteingebäudes schwimmt eine knallrote Brühe, ein paar Meter weiter quillt Dampf aus einer großen Halle, einer der wenigen Zugeständnisse ans 21. Jahrhundert, die Abelmann unter dem Zwang des Denkmalschutzes möglich war. In diesen großen Kühlhallen lagern die Rohprodukte. Hier am Ende, im letzten von drei Kühlhäusern, steht ein Mann in Plastikschürze und nimmt Seelachs für Seelachs aus einer Kiste, legt ihn in eine andere und streut über jede Lage schaufelweise Salz. Die ganze Halle ist gefüllt von diesen Plastikbottichen, in manchen sieht man nur noch Wasser: Wasser, das das Salz aus dem Fisch gesogen hat. Nach 35 Tagen ist der Fisch fast trocken und der Bottich fast voll. Dann wird das hoch salzhaltige Filet gehäckselt, gefärbt und geräuchert. Was herauskommt, gleicht bei Abelmann nur noch in der grellen Farbe dem Supermarkt- Seelachsschnitzel. Wo die Billigprodukte oft nur unidentifizierbares Gekrümel in Rot darstellen, sind hier deutlich die Fischfasern zu erkennen und zu schmecken, schwingt feiner Rauch auf dem Gaumen mit. Eine Kühlhalle weiter dann lagern hunderte von blauen Plastikfässern: Hier entstehen die „Sauerlappen“. Eingelegt in Essig, Salz und eine Würzmischung warten die Heringsfilets auf ihre Reife. Die Abelmänner bekommen den frischen, ausgenommenen Fisch geliefert, alles weitere ist dann Hausarbeit. Und Handarbeit. Filets schnipseln, Gurken vierteln, Heringe einmehlen, die großen Pfannen ins siedende Öl tauchen, und immer wieder rollen. An einem Tisch sitzt eine Frau mit Kopftuch. Sie sortiert Filet für Filet. Die großen für große Rollmöpse, die kleinen für die kleinen. Bei denen zieht sie sorgsam und rasch die Haut ab, andere wiederum teilt sie auseinander, manchen schneidet sie ein bisschen von der Seite ab. So wird der Mops zur Norm. „Dafür braucht man ein gutes Gefühl“, sagt Gieseking, und dass auch das Frauen am besten können. Viele Portugiesinnen, viele Osteuropäerinnen, aber auch viele Deutsche arbeiten hier. Es sind angelernte Tätigkeiten, ihr Stundenlohn liegt bei etwa 7,50 Euro brutto. Gieseking klagt über hohe Fluktuation und über die Schwierigkeit trotz der hohen Arbeitslosigkeit in Bremerhaven genügend Arbeitskräfte zu bekommen. Dabei scheint die Stimmung gut in dem Betrieb. Es wird viel gelacht, die Frauen halten auch mal inne, sie arbeiten zügig, aber nicht verbissen. Gieseking aus der Chefetage begegnet ihnen freundlich und mit Respekt. Die Männer im Betrieb, die die großen Paletten mit dem Remouladehering in die Lagerhallen bewegen, klagen mit ihm über die verlorene Weltmeisterschaft. Drüben an der Filetiermaschine hockt Frau B., seift das lange Stahlgerät mit Spülilauge ein, schrubbt kräftig auch dort, wo das Auge nur noch blankes Metall sehen kann. 60 wird sie heute, seit über 20 Jahren schon arbeitet sie bei Abelmann. Seelachs färben, Eier schnipseln, Rollmöpse rollen. Mag sie noch Hering? Sie schüttelt den Kopf. „Aber was hilft‘s“, sagt sie leise und lächelt. Nachher kommt die Tochter und holt sie ab, dann wird ein bisschen gefeiert.

Die anderen Frauen gucken von ihren Tischen hoch und lachen, rufen ihr zu, „jetzt wirst du berühmt“, kichern sich an und nehmen Hering für Hering, Gurke drauf, fest gerollt, das ist der Trick, Spicker rein, Mops für Mops.

Um die Abelmann-Möpse zu testen, muss man nicht extra ins KaDeWe: Im Schaufenster Fischereihafen in Bremerhaven hat das Unternehmen mit dem "Käptn's Dinner" sein einziges Einzelhandelsgeschäft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen