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Solo bei Windstärke 12

Die Hallenbad-Inszenierung von „Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten“ ist mehr Hörbuch als Theaterstück

Der Bademeister hat Feierabend. Für immer. Das leere Schwimmerbecken im Oldenburger Hallenbad schimmert schwach im späten Abendlicht. Leitern führen vom Beckenrand ins Nichts. Das Dreimeterbrett ragt mahnend über dieser unwirklichen Szenerie. Inmitten des Beckens steht ein schwarzer Flügel, sein Schatten fällt auf den gekachelten Beckenboden. Statt des Chlorwassers plätschern sanfte Pianoklänge durch das Becken: Der Ozeanpianist Novecento (Uwe Bergeest) erklärt das Bad zum Theatersaal.

Mit der neuen Produktion der Kulturetage (Regie: Carlos Traffic) begeht Oldenburg auch den Abschied von seinem alten Hallenbad. Und das war auch der bewegendste Moment an diesem Theaterabend – jedenfalls für alle SchwimmerInnen. Dabei ist die Legende vom Ozeanpianisten ein packender Stoff: Auf der “Virginian“ fahren Anfang der 1920er-Jahre arme Leute als Einwanderer nach Amerika. Ein Kind, das an Bord geboren wird, bleibt zurück, wird gefunden und entwickelt sich zum begabten Pianisten. Mit 32 Jahren denkt der erstmals an Landgang, wagt ihn nicht. Später lässt er sich mit dem abgewrackten Schiff in die Luft sprengen.

Der Text bietet viel Komik, absurde Gestalten bevölkern die Szenerie: Ein klaustrophobischer Kapitän, ein blinder Steuermann. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines Trompeters, der zeitweise an Bord war. Uwe Bergeest nimmt in diesem anderthalbstündigen Monolog dessen Perspektive ein, ist aber zugleich der Ozeanpianist, bringt auch Blues, Ragtime und Elegisches zu Gehör. Doch bis diese Erählstrategie geklärt ist, ist man schon mitten drin in der Geschichte, einigermaßen bemüht, alles auseinander zu halten. Das ist dramaturgisch nicht sauber gelöst worden.

Farbe bekommt die Geschichte, als Bergeest das Pianistenduell zwischen Novecento und Jelly Roll Morton aus New Orleans aufleben lässt: Streithähne am Klavier, der Chronist als Akteur und Kommentator, als Ringrichter, als Novecento und Morton selbst. Dann verführt Novecento den Trompeter zu einem irren Tanz mit dem Orkan, spielt auf entfesseltem Flügel bei Windstärke zwölf, beide zerdeppern das Schiffsmobiliar. Zu voraussehbar allerdings, dass man bei diesem Anlass so schön auf dem Klavierschemel die abschüssige Bahn zum Dreimeterbrett heruntersausen kann. Trotzdem ein guter Stunt.

Was dem Abend fehlt, ist Schauspiel. Obwohl dieser Raum geradezu nach Stimme schreit, der Ton kommt hier aus den Boxen: Sprache und Klavier werden per Mikro übertragen. Das klingt erstens hallig und zweitens mehr nach Hörbuch denn nach Theater. Man konnte getrost die Augen schließen und zuhören, was der Märchenonkel erzählt.

Gerade diesen Raum wirklich theatral zu füllen, das ist zwar eine Herausforderung. Aber dann hätte man sich doch lieber einen bespielbaren Ort suchen sollen, statt wiederum – wie schon bei „Antigone“ – den Raum zum eigentlichen Akteur zu erklären. Der allerdings wurde durch das Lichtkonzept von Hartmut Lantje zum Abschied noch mal wunderbar in Szene gesetzt. Marijke Gerwin

Aufführungen bis zum 26.7., täglich außer montags, um 22 Uhr im Hallenbad Berliner Platz. Karten ☎ 0441-924 800

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