: Türkei wählt am 3. November
Ministerpräsident Bülent Ecevit einigt sich widerwillig mit den Koalitionsparteien auf vorgezogene Wahlen, nachdem sieben weitere Abgeordnete seine Partei verlassen und damit die Regierung auch noch ihre Mehrheit im Parlament verliert
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Als Ausweg aus der schweren Regierungskrise haben sich die drei türkischen Koalitionsparteien unter dem gesundheitlich angeschlagenen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit gestern auf vorgezogene Parlamentswahlen am 3. November verständigt. Dies wurde gestern Nachmittag in Ankara mitgeteilt.
Der seit Wochen von zu Hause regierende 77-jährige Ecevit hatte das Treffen mit den beiden anderen Führern der Koalitionsparteien – Nationale Bewegung (MHP) und Mutterlandspartei (Anap) – angesetzt, weil der Druck nach vorgezogenen Wahlen immer stärker wurde. Zuvor hatte Ecevit mehrmals bekundet, die volle Legislaturperiode bis zum Frühjahr 2004 durchstehen zu wollen, um Reformen zur Überwindung der Wirtschaftskrise durchzusetzen.
Ecevit hatte noch am Morgen vor vorgezogenen Wahlen gewarnt. Doch stand er unter Druck, nachdem Oppositionsführerin Tansu Ciller von der Partei des wahren Weges (DYP) eine Sondersitzung des Parlaments bereits für den 22. Juli gefordert hatte, um über Wahlen im September zu beraten.
Zudem hatte gestern Morgen die Regierung ihre parlamentarische Mehrheit verloren, nachdem noch einmal 7 Abgeordnete ihren Austritt aus der Partei von Ministerpräsident Ecevit (DSP) verkündeten. Damit fiel die Zahl der Koalitionsabgeordenten auf unter 276. Bei insgesamt 550 Volksvertretern büßte die Regierung somit ihre absolute Mehrheit ein. Dennoch verfügt die Opposition nicht über genügend Stimmen, um den Regierungschef per Misstrauensvotum abzusetzen.
In den kommenden Tagen wollen Exaußenminister Ismail Cem, der Ex-Ecevit-Stellvertreter Hüsamettin Özkan und Wirtschafsminister Kemal Dervis ihre angekündigte neue Partei aus der Taufe heben. Parlamentarische Basis werden die rund 60 aus der DSP ausgetretenen Abgeordneten sein.
Die Regierungskrise fällt für die Türkei in eine kritische Zeit. Seit gestern berät der Vize-US-Verteidigungsminister, Paul Wolfowitz, in Ankara über eine türkische Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak. Auf Zypern laufen Verhandlungen über eine Aufhebung der Teilung vor einem Beitritt der Insel zur EU. Ende des Jahres wollen die Chefs der 15 EU-Mitglieder über die Erweiterung der Gemeinschaft entscheiden. Der Streit über die Politik gegenüber Europa spaltet die bisherige Koalition.
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