: Langer Weg zur Mitte
Benjamin Wild, „Scarcubem-Nord“ und „Relais“: Das Elektroniklabel Decode lädt zu politischem Minimalhouse und Unvorhersehbarem
von JULIAN WEBER
Neue Spuren legen und alte verwischen. Alte Codes knacken und neue Kennworte einführen. Das Hamburger Elektroniklabel Decode Industries hat sich die Verfeinerung dieser Überlebenstechniken für moderne urbane Nomaden auf die Fahnen geschrieben. Man will nichts weniger als „die Pforten der Wahrnehmung verschieben“. Unterhaltung ist bei den Machern tatsächlich mit einer kompromisslosen Haltung verbunden. So lassen sie uns auf ihrer Homepage wissen, dass sie mit repetitiver Menschmaschinenmusik die männlich zentrierten Mythen von Rock dekonstruieren wollen. Der Kampf gegen die Verarmung der Sinne ist noch lange nicht verloren, heißt es da weiter und außerdem, „it‘s noise not music“.
Man könnte Decode in eine Reihe mit Dial stellen, einem anderen Hamburger Label, das seine Dancefloor-Platten immer wieder mit politischen Parolen versieht und es nicht bei den frommen Sprüchen belässt. Dass Menschen in Hamburg aus anderen Gründen auf eine Party gehen als in Chicago, hat dazu geführt, dass man sich hierzulande einen eigenen Dancefloor-Sound erfand: Minimalhouse. Jedenfalls gibt es inzwischen – nicht nur in Hamburg – eine Dancefloor-Community, die gerade, weil die Party lässig pumpt, nicht das Nachdenken über die allgemeinen Umstände vergisst. Labels wie Decode nutzen die Party als Ort stärker für politische Aktivitäten, und sei es das hehre Ziel, „der dahinsiechenden westlichen Zivilisation mit hochwertiger Musik begegnen“ zu wollen.
In der Logik von Decode geht es auch gar nicht um Musik im herkömmlichen Sinne, man sieht sich als inspirierende und kreative Schnittstelle verschiedener Menschen, Anlaufstelle für eine Mikro-Community von Aktivisten. Neben Plattenveröffentlichungen organisiert man bei Decode auch Partys und Konzerte und dieses Engagement will man als politischen Akt verstanden wissen. „Im Grunde genommen geht es darum, dass alle eine gute Zeit haben.“ Ein Gedanke, auf den sich gern einigen lässt.
Dass Decode-Veröffentlichungen unter dem Siegel coolster Verschwiegenheit weitergereicht werden, verwundert da auch nicht weiter. Sie sind tatsächlich anders: Nehmen wir „Musik am Morgen“ eine 12-inch von Benjamin Wild. Die Rillen laufen von innen nach außen. Die Decode-Welt steht also buchstäblich Kopf und trotzdem erdet die Musik. Sie führt uns geradewegs auf die Tanzfläche, wo ein dubbiger House-Ansatz behagliche Gefühle nicht nur suggeriert, sondern auch wirklich auslöst. Das sei „weicher Futurismus“, wie der Kollege vom Fachblatt für elektronische Lebensaspekte treffend bemerkte. Überhaupt lohnt die Beschäftigung mit dem Wahlhamburger Musiker Benjamin Wild, ist er doch repräsentativ für den Denkansatz von Decode. „Allgemein gefällt mir an House die Art zu feiern, der Respekt, der zwischen den Leuten einfach selbstverständlich ist, das Tempo, der Groove.“
So selbstverständlich wie Wild die musikalischen und die sozialen Effekte seiner Musik zusammendenkt, so umgeht er auch allgemeingültige Gesetze der Verwertungslogik: Wild streut seine Plattenveröffentlichungen in einem weiten Radius und hat eigentlich schon für alle geschehenden und unabhängig von der Plattenindustrie operierenden deutschen Dancefloor-Hütten Musik gemacht, ob Kompakt, Festplatten, Dial oder eben Decode. Anstatt sich an ein Label zu binden und dem jeweils hauseigenen Sound zu huldigen, verfolgt Wild den offenen Ansatz. Er bastelt mit musikalisch recht unterschiedlichen, aber gleichermaßen eingängigen Identitäten an einem Sounduniversum zwischen Techno, Dub und House. Seine Tracks bezeichnet er als „Dinge einfacher Schönheit“.
Anders als viele DJs und Produzenten tanzt Benjamin Wild auch gerne zu Musik. Tanzen bedeutet für ihn, mit anderen, fremden Menschen zu kommunizieren. Vielleicht gelingt das auch auch am Freitag, wenn Benjamin Wild live auftritt und zusammen mit Relais (alias DJ Tom Fleischauer) und einer Hälfte des Decode-Acts Scarcubem in die Astra-Stube einlädt. Mit der visuellen Gestaltung wurde das experimentelle Team Duralux beauftragt. Die Astra-Stube passt zum Konzept, scheint dort doch alles übersichtlich – und trotzdem: Man weiß nie, wie und was einem geschieht. Dieses Mal könnte sich das Geschehen auf die Tanzfläche als Mitte einpendeln.
Decode-Labelabend mit Benjamin Wild (live), Scarcubem-Nord und Relais Freitag, 21.30 Uhr, Astra-Stube
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