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nebensachen aus mexikoWenn ein Indígena katholische Kirchengeschichte schreibt

Mexiko-Stadt im Jungfrauenfieber

Sommer ist in Mexiko-Stadt eine eher unspektakuläre Jahreszeit. Der Himmel leuchtet in sanftem Regengrau, Millionen Kinder müssen nicht jeden Tag vor die Schultore gekarrt werden und sind in Ferienlagern oder Sommerkursen verstaut. Die Megalopolis hält Siesta.

Nicht so jedoch nächstes Wochenende. Erst wird Britney Spears für mehrtägigen Aufruhr sorgen, wenige Tage später dann der Papst. Dass das gebrechliche Väterchen sich schon zum fünften Mal auf den beschwerlichen Weg nach Übersee macht, hat guten Grund: es geht um die Heiligsprechung eines Mannes, der vor fast einem halben Jahrtausend die Mutter Gottes gesehen haben soll. Dem getauften Azteken mit dem Namen Juan Diego Cuauhtlatoatzin sei die Jungfrau Maria 1531, kurz nach dem Erobert-Werden durch die Spanier, erschienen, habe ein wenig in Nahuatl mit ihm parliert, um eine Kapelle gebeten und – um der Bitte bei den lokalen Bischof Nachdruck zu verleihen – ihr Abbild auf seinem Umhang hinterlassen.

Das Porträt der etwas schwermütig dreinblickenden Jungfrau, die sich selbst als Guadalupe vorgestellt haben soll, wird in Mexiko bis heute auf das Inbrünstigste verehrt. Rund 20 Millionen Pilger kommen Jahr für Jahr in die futuristische neue Basilika, in der das kunstvoll bemalte Stück Stoff ausgestellt ist, viele zu Fuß, manche gar auf Knien. Was damit zu tun haben mag, dass die Dame praktischerweise auf demselben Hügelchen erschienen war, der zuvor der aztekischen Erdgöttin Tonantzin geweiht war.

So verschmolz die katholische Maria mit der Aztekin zu einem spirituellen Zwitterwesen, das als virgen morena, als dunkelhäutige Jungfrau, auch von vielen Indígenas mit zärtlicher Hingabe als eine der ihren gefeiert wird. Die Schutzheilige, die in fast jedem Parkhaus ihren Altar hat, ist für alles und jeden gut: einst als Muse für die Helden der Unabhängigkeit, heute bei Fußballspielen, Liebeskummer und politischem Protest.

Vor ein paar Jahre ist sie wieder mal erschienen. Diesmal einem Süßigkeitenverkäufer in der U-Bahn, in einer nicht versiegen wollenden Pfütze auf dem Bahnsteig. Die Pfütze gab es wirklich, den Bonbonhändler auch. Hingegen behaupten böse Stimmen – darunter pikanterweise die des Abtes, der über dreißig Jahre der Basilica vorgestanden hatte –, dass die Existenz des Herrn Cuauhtlatoatzin keinesfalls verbrieft sei. Auch belegt eine Studie, die lange unter Verschluss gehalten wurde, dass besagter Umhang nicht dem „göttlichen Atelier“ entstammt, sondern von Menschenhand gemalt ist.

Papperlapapp, sagen die erbosten Guadalupanos, die nach jahrelanger Lobbyarbeit nun endlich auch den Vatikan vom hecho guadalupano, dem guadalupanischen Tatbestand, wie es so hübsch kategorisch heißt, überzeugen konnten. Die Vita sei längst lückenlos rekonstruiert, und Zweifler seien allesamt Rassisten. Denn schließlich wird Juan Diego als erster Indígena in die Kirchengeschichte eingehen.

Nur eingefleischte Spielverderber weisen noch darauf hin, dass das heilig zu sprechende Bild einen bärtigen Hellhäutigen mit gelockter Haarpracht zeigt, dem zum Europäer nur noch die blauen Augen fehlen. „Sieht eher aus wie Hernán Cortés“, merkt ein Anthropologe hinterhältig an. Doch einer Offenbarung wie der Möchtegernjungfrau Spears ist die melancholische Madonna allemal vorzuziehen. ANNE HUFFSCHMID

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