: Unsittliches zwischen Rathaus und Dom
Seit 1974 vergibt der Bund Deutscher Architekten im Turnus von vier Jahren den „BDA-Preis Bremen“. Diesen September ist es wieder so weit. Bis dahin blickt die taz in sieben Folgen zurück auf die bisherigen Preisträger und beleuchtet damit verschiedene Bauepochen in Bremen. (1) Nachkriegsarchitektur
Über die Qualität und die richtige Gestalt bremischer Architektur ist schon immer lebhaft bis heftig diskutiert worden. Die innerbremischen Debatten reichen vom Streit um den Wiederaufbau der westlichen Vorstadt bis zum jüngsten Hochhausstreit. Und die Urteile von außen fallen meist nicht gerade rosig aus: „Es haftet den Gestaltungstendenzen in Bremen ein konservativer Charakterzug an“, bemerkte 1958 lapidar ein Kritiker. Auch heute gilt die Hansestadt nicht als Nabel des aktuellen Architekturgeschehens.
Die Einschätzung, dass die Bauproduktion in Bremen und Bremerhaven doch besser ist als ihr Ruf, war für die Bremer Sektion des BDA 1974 der Anlass, den Architektur-Preis auszuloben. Man setzte dabei auch auf eine gewisse Vorbildfunktion, hoffte auf die Hebung des allgemeinen Standards durch die Auszeichnung einzelner Bauwerke. Gut, man war damals mit der Entscheidung für den Wettbewerb schon ein paar Jahre über der Zeit – aber das ist für diese Stadt ja nicht ganz untypisch, und besser zu spät als gar nicht.
So gab es für die Juroren eine Menge aufzuarbeiten: die ganze Nachkriegsbaugeschichte nämlich. Unter 112 Einreichungen wurden immerhin 17 Preise vergeben und 14 Belobigungen ausgesprochen. Allgemein sah sich die Jury mit „einem erstaunlich guten architektonischen Qualitätsniveau konfrontiert“.
Was sofort auffällt, ist die Tatsache, dass die meisten prämierten Bauten der 50er- und 60er-Jahre nicht von Architekten aus Bremen stammen – Bremer Architekten holten erst bei den um 1970 entstandenen Bauten Preise. Ist also das konstatierte Qualitätsniveau ein importiertes gewesen? Sicher nur zum Teil. Es gab auch um 1960 gute Bauten von bremischen Architekten, doch in der Zeitraffung des Rückblicks sprangen den Juroren wohl die bekannten Namen eher ins Auge als die der Lokalmatadoren.
Skidmore, Owings & Merrill zum Beispiel, das amerikanische Starteam in der Mies van der Rohe-Nachfolge, brachte mit dem US-amerikanischen Generalkonsulat am heutigen Präsident-Kennedy-Platz schon früh (1953) das Flair des Interational Style nach Bremen. „Ein wichtiger Orientierungspunkt für die Deutsche Nachkriegsarchitektur“, lobte die Jury.
Natürlich stand das „eigenwillige, aber meisterhaft“ geformte Wohnhochhaus von Alvar Aalto, das Wahrzeichen der Neuen Vahr, auf der Liste der Preisträger. Und selbstverständlich auch die drei wichtigsten Bremer Prestigebauten der Sechzigerjahre: das Focke-Museum von Heinrich Bartmann, die Stadthalle von Roland Rainer und das Haus der Bürgerschaft von Wassili Luckhardt – Letzteres der wohl umstrittenste Bau der letzten Jahrzehnte.
Ein modernes Gebäude zwischen Rathaus, Dom und Schüttig galt für viele geradezu als unsittlich. Die Gesellschaft Lüder von Bentheim wollte es in letzter Minute noch durch eine Volksabstimmung verhindern, und Denkmalpfleger Rudolf Stein hätte gern ein großes Walmdach à la Rathaus oben drauf gesehen. Immerhin ist der Architekt mit einem angedeuteten Giebelmotiv seinen Kritikern entgegengekommen. Die Preisvergabe also als Abstrafung piefiger Stadtbildbewahrer?
Besser lag der Denkmalpfleger sicherlich mit seiner Kritik an der ebenfalls preisgekrönten Sanierung der Kirche Unser Lieben Frauen von Dieter Oesterlen. Die Entscheidung, die Gewölbekappen und Wände aus akustischen Gründen unverputzt zu lassen, hat dem Innenraum einiges von der lichten und weiträumigen Wirkung genommen, die eine gotische Hallenkirche eben auszeichnet.
In die denkmalpflegerische Sektion gehört auch die preisgekrönte Sanierung des Schnoorviertels unter der Federführung des Baurats und späteren Baudenkmalpflegers Karl Dillschneider. Mit dem 1959 verabschiedeten „Schnoorstatut“ wurde erstmals in Deutschland ein „Ensembleschutz“ durchgesetzt – hier war Bremen tatsächlich mal voraus.
Aber schließlich gab es unter den Preisträgern doch noch einen modernen Bau der frühen Sechzigerjahre, der nicht aus der Feder auswärtiger Architekten stammt: das Kaffeehaus am Emmasee von Hans Budde und Carsten Schröck. Die Jury lobte die rücksichtsvolle landschaftliche Einfügung, die weitgehende Transparenz und die gelungene Gruppierung der Baukörper, die gleichsam über dem See zu schweben scheinen.
In der Tat hatten sich die beiden, die zur jüngeren, nach dem Krieg ausgebildeten Architektengeneration gehörten, einiges einfallen lassen. Vor allem die Pilzkonstruktion der drei gestaffelt angeordneten Gasträume am Ufer ist hier zu erwähnen. Sie beschränkte das sichtbare Tragwerk auf jeweils nur eine Mittelstütze und machte den Bau leicht und transparent. Leider konnte die Innenausstattung schon damals nicht mit der architektonischen Form mithalten und ist inzwischen, nach erneuter Umdekorierung, völlig inakzeptabel geworden.
Eberhard Syring
In der nächsten Folge geht‘s mit den Preisträgern des Jahres 1978 um die Zweifel an der modernen Architektur. Wir berichten von einem Bauwerk, das „nur auf sich selbst bezogen ist“ und „die Beziehung zur Umgebung ignoriert“ – und trotzdem einen Preis erhielt. Leer ausgegangen ist dafür ein Bauwerk, von dem es hieß, es sei „so exzellent, dass man es nicht übersehen konnte“.
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