Im Copyshop der Männlichkeit

In Berlin ist die Dragking-Bewegung groß im Kommen. Die amerikanische Performerin Diane Torr gibt derzeit die dazu notwendigen Anleitungen bei ihren Workshops im Prenzlauer Berg. Als „Frau zu Mann“ probieren sich die Debütantinnen aus

von WALTRAUD SCHWAB

Danny King ist Diane Torr. Er kann Wünsche erfüllen, sie zeigt wie. „Für einen Tag ein Mann sein!“ ist so ein Traum. Im Rahmen des Go-Drag-Festivals bietet Torr, die amerikanische Koryphäe in Sachen maskulines Alter Ego, Workshops zur Mannwerdung an. Nicht im Spaß, sondern im Ernst! Ich war dabei.

In einem „Rosengarten“ an der Danziger Straße treffen wir uns: 14 Dornröschen und der Prinz Danny King. Er kommt aus Pittsburgh, ist verheiratet, hat drei Kinder. Als Einkäufer in der Bekleidungsindustrie ist er auf der Suche nach Trachtenmode. So was gehe gerade gut in den USA. Danny ist ein Typ, wie er in Nachtclubs anzutreffen ist: Anzug und Halstuch im offenen Hemd, gescheiteltes Haar, Oberlippenbart, schneidiger Schritt. Einer der vormacht, dass er Frauen nicht wachzuküssen braucht, sein Fingerschnippen reicht aus. Bevor der Funke überspringt, muss das schwere Handwerk der Mannwerdung allerdings noch gelernt werden.

„Habt ihr alle einen Penis dabei? Und Bandagen, um die Brüste flach zu wickeln? Klamotten, die eurem Alter Ego Halt geben? Habt ihr überhaupt eine Ahnung, wer ihr als Mann seid?“ Diane Torr, die schottische Performerin, die in New York lebt, inspiziert das Mitgebrachte. Hemden müssen von rechts zu knöpfen sein, Schuhe eine Schwere haben, die Spuren hinterlassen. Hosen sind besser eine Nummer zu groß. Gürtel und Hosenträger halten, was die Taille los lässt. Krawatten je nach Typ.

Ohne Widerspruch beginnen die 14 Debütantinnen Bandagen um die Körper zu wickeln und Kondome mit Watte voll zu stopfen. Letzteres ist Penisersatz. Aggregatzustand: schlaff. „Fühlt es sich wie so einer an?“ Mit Sicherheitsnadeln wird er an den Boxershorts festgemacht. Man sieht, wenn keiner drin ist, meint Diane Torr. Im Kurs geht es um den vollständigen Mann. Um ein Original, keine Karikatur.

Mann-begegnet-Mann gehorcht einem Kode. Frau-begegnet-Mann einem anderen. Tausendfach wiederholt sind diese Verhaltensmuster. Dadurch eingeschliffen. Durch den Rollentausch sollen die Unterschiede erfahren werden. Nur so käme man den eigenen, weiblichen Fehlern auf die Schliche, weiß Torr. Wird ein Auftritt aber zur Travestie, funktionieren andere Muster. Diese interessieren hier nicht. Nicht Schauspielerei soll gelernt werden, sondern die Wahrheit über die Männer. Diane Torr, die mit ihrer Mission seit mehr als einem Jahrzehnt durch Amerika und Europa bis nach Istanbul tingelt, wird nicht müde, das zu betonen. Damit es schneller sitzt, kommt sie ohne Umschweife zur Sache, verlegt sich auf den Imperativ, argumentiert in Behauptungen, beantwortet Fragen mit Gegenfragen. So bekommt sie die 14 Personen, die vor kurzem noch Frauen waren und die untereinander in brüderlicher Harmonie verbunden sind, gut in den Griff. Darunter sind Schauspielerinnen, Mütter und Ehefrauen, eine Ärztin, eine Juristin, Studentinnen, PR-Fachfrauen, eine Theologin und Pianistin. Alle wollen die Männer endlich als Männer verstehen. Ihnen Paroli bieten. Ihre Tricks selbst anwenden. Zumindest undercover.

Im neuen Geschlecht könnten Frauen erleben, wie sehr sie den Männern ihr dominantes Terrain bereiten, das es doch – alte feministische Forderung – gelte, selbst zu besetzen. Eigene Erfahrungen der Performance-Künstlerin standen Pate für die Kursidee. Sie lauten: Männer genießen mannigfache Vorteile in der Gesellschaft. Neu ist die Erkenntnis nicht.

Torr rät jeder, den Mann ihrer Träume bis ins Detail zu entwickeln. Welche Zeitungen liest er? Welches Auto? Welches Rasierwasser? Hat er Kinder? Wohin geht er einen trinken? Welche Leichen hat er im Keller?

Das Etwas zu viel

Eine Maskenbildnerin klebt Dreitagestoppeln, Oberlippenbärte und die unvermeidlichen Koteletten auf die Haut der Teilnehmerinnen. Mit verblüffendem Erfolg. Die Veränderungen im Gesicht katapultieren eine Frau mit einem Schlag ins Reich der Männlichkeit. Übertreibung schadet nicht. Das Etwas zu viel macht aus einer Mutter einen Rocker, aus einer Akademikerin einen Lackaffen, aus einer Schauspielerin einen Multimedia-Maniac mit Münchner Akzent. „Wie fühlst du dich“, wird Sabine, die zuerst geschminkt ist, gefragt. „Erschrocken bin ich schon, als mich plötzlich mein Bruder im Spiegel anschaute.“ Seit zwanzig Jahren spürt sie dem Männlichen in sich nach. Sie war nicht darauf vorbereitet, dass das Maskuline in ihr ihrem Bruder aus dem Gesicht geschnitten ist. Es nimmt ihr das Lachen. Das aber passt ins Konzept.

„Frauen lachen zu viel“, sagt Torr. Was sie als Freundlichkeit verstehen, besiegle in Wirklichkeit ihre Unterlegenheit. Um ein Mann zu werden, braucht es mehr als einen Bart und die passenden Klamotten. Männer markieren ihr Territorium. „Alles, was du siehst, gehört dir. Du besitzt es“, sagt Torr. Ein Mann tritt mit dem ganzen Gewicht auf beim Gehen. Wenn er sich umdreht, dann im Quadrat. Torr alias Danny King macht es vor. Obwohl die Frau nur 1,60 groß ist, strotzt der Typ vor Selbstbewusstsein. Sein Körper ist eins mit dem Raum. Er kontrolliert ihn. Dazu gibt es hin und wieder einen zackigen Blick auf die Armbanduhr und in die Augen des Gegenübers. Alles addiert sich zu einer Wichtig-wichtig-Manier. „Erst durch die Extreme schärfen wir das Gefühl für das Feine“, sagt Torr.

Das ist eine schöne Begründung dafür, in die Vollen zu gehen: auf den Boden spucken. Beim Essen zupacken. Den kürzesten Weg zwischen Nahrung und Mund finden. Beim Betreten eines Ladens erst einmal die Anwesenden abchecken. Frauen auf ihre Verfügbarkeit hin taxieren. Dem Gegenüber bei der Begrüßung die Hand quetschen. Sich Leuten im Gespräch nähern und einem von ihnen mitten in der Rede auf die Schulter klopfen, damit er sich an seinem Hauptsatz verschluckt. Andere unterbrechen, Fragen mit Gegenfragen beantworten. „Hast du ein Problem?“

Der Gang der Männer wird gelernt: breitbeinig, selbstbewusst, Hände in den Taschen. Begegnungen mit anderen Männern werden geübt. „Hey Alter, lange nicht gesehen?“ – „Wie geht’s denn so?“ – „Haste mal was von Rudi gehört?“ – „Mann, lass mich damit in Ruhe.“ Nichts leichter als das. Wenn der italienische Hengst Carlo, Nachtclubbesitzer, auf die Von-Stuckrad-Barre-Jungliteraten-Kopie trifft, ist das Thema schnell gefunden: Weiber. Wenn der Dauerstudent Ben dagegen dem Typ im mittleren Management begegnet, endet das Treffen als Versehen. Und sollte der Schreiner Tim mit dem Architekturstudenten Christopher sprechen, wissen am Ende beide, dass sie mehr wissen, als der andere.

Frau als besserer Mann

Die Feministinnen der 80er-Jahre wollten beweisen, dass sie so gut sind wie Männer. Die Frau von heute will zeigen, dass sie als der bessere Mann durch geht. Selbst wenn sie dazu den Mund geschlossen halten muss, damit ihre Stimme sie nicht verrät. Variationen auf das „Hhmm“ reichen meist schon aus. Mal brummend, mal skeptisch, verneinend, bejahend. Diane Torr berichtet von einer Frau, die als Mann ein Auto kaufte und es durch bloßes „Aha“-Sagen schaffte, erheblichen Rabatt zu bekommen.

Diane Torr war in den 70er-Jahren aktiv in der Frauenbewegung. Selbsterfahrungsgruppen und Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ waren der feministische Einstieg. In den 80er-Jahren zog die ausgebildete Performerin nach New York und auf die Bühne. Sexualität und Politik sind ihre Themen. Lange bevor sie im Alltag als Mann unterwegs war, war sie es auf der Bühne. Heute betrachtet sie sich als eine, die in den 90ern der Dragking-Bewegung auf die Sprünge geholfen hat. Immer wieder betont sie dabei den emanzipatorischen Aspekt. „Die Frauenbewegung hat es versäumt, ihr Anliegen so transparent zu machen, dass junge Frauen von heute es verstehen.“ Das Medienzeitalter brauche andere Methoden, um die Ungleichbehandlung von Mann und Frau, die noch immer zu Lasten der Frauen gehe, erfahrbar zu machen. Theoriediskussion passt nicht zur Spass- und Partygeneration. Metaebenen hätten ausgedient. Dafür ist es für die Fernsehgeneration kein Problem, schnell die Rolle zu wechseln und sich öffentlich zu präsentieren. Torrs Workshops bieten Selbsterfahrung in der Öffentlichkeit, denn das große Finale der ganzen Vorbereitung ist: ein Ausflug in die Wirklichkeit.

Die Expertin weiß auch in diesem Punkt von Wundern zu berichten. So ist sie einmal mit ein paar Pseudo-männern in einen Nachtclub gegangen. Als ehemalige Gogotänzerin hat sie größte Sympathie für die auftretenden Mädchen. Deshalb fingen die Fake-Männer an, den Stripperinnen Geld zuzustecken. Die echten Männer taten es ihnen gleich. So wird die fehlende Erziehung der Mannsbilder doch noch nachgeholt.

Den Teilnehmerinnen unseres Workshops sind derartige Verzauberungen versagt geblieben. „Warum klebt ihr euch das Zeug ins Gesicht“, werden die beiden Italo-Machos, die überzeugendsten von uns allen, von einem Passanten auf der Straße gefragt. „Hey, das sind unsere Bärte. Haste ein Problem?“ – „Ich hab vorher schon zwei von eurer Sorte gesehen.“

Mit Mike, dem 21-jährigen Schreiner, lande ich – Typ: Walter, Journalist, erfolgreich – auf unserem Ausflug in einer Prenzlauer Eckkneipe. Er hat als Jahrgangsbester gerade seine Gesellenprüfung abgeschlossen. Darauf ein Bier. Verschämt bedient die Kellnerin, ohne uns in die Augen zu blicken. Wir ihr um so mehr. Über die Musikanlage dröhnen alte Schlager. „Dream of Jamaica“ und „Dschingis Khan“. An der Wand hängen Bierfässer, Krug- und Flaschensammlungen. Die Wände sind mit brauner Ölfarbe gestrichen. „Im Himmel gibt’s kein Bier, drum trinken wir es hier“ steht in gotischen Lettern auf einem Stück Holz. „Du darfst nicht so mit dem Arsch wackeln“, rät mir Mike, als er mich von hinten gehen sieht.

Als Mike sein Bier versehentlich umschüttet, fragt der Typ vom Nachbartisch: „Alles klar bei euch?“ Kurz darauf kommt die Kellnerin mit dem Wischlappen. Mike springt sofort auf und macht Platz. Ich rette, was zu retten ist: „Können Sie das nicht später weg machen?“ „Aber das klebt doch“, antwortet sie entsetzt.

„Ich finde das so deprimierend, dass ich ein Arschloch sein muss, um das männliche Verhalten zu durchschauen“, sagt die 23-jährige Germanistikstudentin, die sich hinter Mike verbirgt. „Ich möchte eine Frau sein und es trotzdem durchbrechen.“ Soweit sind wir noch nicht.

Workshop am 27./28. Juli, 12–18 Uhr, Info: 62 72 46 44