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Die Basis der Leidenschaft

Schauspieler beschimpfen ihre Regisseurin. In Filmen von Carl Andersen und Malga Kubiak scheint Sex der letzte Ort des Authentischen. Oder doch nicht? Ist es eher das verzweifelte, endlose Reden darüber? Peinlichkeit als Instrument der Erkenntnis

von DETLEF KUHLBRODT

Seit 15 Jahren macht Carl Andersen Filme ohne Geld, in denen es, mal mehr, mal weniger dokumentarisch, um Basics der menschlichen Existenz geht: Sex, Leidenschaft, Liebe, Scheitern. Seine ersten Filme gingen mehr Richtung Trash mit bunten Busen, Vampiren und endlosen Titeln; „Killing Mom“ war eine Hommage an seinen verehrten Kollegen Lothar Lambert, in den letzten Jahren ist dann die Selbsterfahrungskomponente, das therapeutisch Forschende, größer geworden. Also: ausziehen, Zigaretten rauchen, gucken, wie sich das anfühlt, ergebnislos quatschen bis zum Umfallen und nur keine Angst vor etwaigen Peinlichkeiten.

Die Peinlichkeit ist ein gutes Erkenntnisinstrument, das Erkennen hebt sie wieder auf im dreifachen hegelschen Sinne. Die Kamera ist eine Maschine zur Selbstobjektivierung; was manchmal so leichthin als Selbstverwirklichungskino denunziert werden könnte, macht die Filme durchlässiger, stiftet Kommunikation zwischen Zuschauern und Machern. Wovon man sich auch heute Abend überzeugen kann, denn das Team seines neuen Films „… lick an apple like a pussy: the movie stanislawski never made“ wird sich in der Brotfabrik etwaigen Fragen stellen.

Der halbdokumentarische Film erzählt von einem Castingwochenende in einem abgelegenen Haus in der Pampa. Die wasserstoffblonde Regisseurin Marga, gespielt von der in Schweden lebenden gebürtigen polnischen Undergroundregisseurin Malga Kubiak, hat alles ihrer filmerischen Leidenschaft geopfert: Geld, Familie, Zuhause. Sie verlangt bedingungslosen Einsatz ihrer Schauspieler, die wiederum hoffen mit dem Film eine Karriere beginnen zu können. Marga, die in ihren eigenen, wie soll man sagen, „Experimentalpornos“ recht weit zu gehen pflegt, will, dass die Schauspieler echte Sexszenen spielen, zumal sie doch Deutsche sind, also Nudisten irgendwie; die Schauspieler zögern, wollen das nicht oder doch vielleicht und dann doch wieder nicht. Ausziehen wär schon okay, überall anfassen auch, aber richtiger Sex lieber doch nicht. Pornografie könne ja jeder. Was natürlich Unsinn ist.

Der 61-minütige Film besteht aus endlosen und auf faszinierende Art ermüdenden Gesprächen zwischen den Protagonisten und der Regisseurin über die Frage: echt Sex oder doch nicht und was das überhaupt soll. Die Regisseurin wird immer verzweifelter, nach und nach kündigen die Schauspieler ihre Mitarbeit auf und verschwinden.

Manchmal ahnt man, was die Regisseurin will; ein instinktives unmittelbares Spiel jenseits vom So-Tun-als-ob; kontrollierte Grenzüberschreitung. In ihren eigenen Filmen, die ebenfalls in der Brotfabrik gezeigt werden, gelingen Malga Kubiak solche Sexszenen jenseits von Porno und Kunst. In „Flasher“ zum Beispiel redet sie über ihre Ziele, während sie durchaus souverän auf einem Stuhl onaniert.

In einer Szene in Andersens Film lassen sich zwei betrunkene Schauspieler von ihr dazu überreden, mit einer Sexszene anzufangen. Anfangs wirkt das hölzern (also authentisch), wie sie sich ausziehen, dann scheinen sie plötzlich die Kamera zu vergessen (also unauthentisch), Gefallen an den Umarmungen zu finden, um dann gleichsam wieder aufzuwachen und die Fortführung der Szene zu verweigern. Der Unterschied zwischen den schönen, fließenden Bewegungen, als die beiden die Kamera vergessen haben, und der groben, nudistisch angezogenen Nacktheit, in die sie fallen, als ihnen das alles wieder bewusst wird und sie die Regisseurin beschimpfen, ist frappant.

„… lick an apple like a pussy“ von Carl Andersen, Brotfabrik bis 14. August. „Ego-Trips“ von Malga Kubiak, Brotfabrik, 1.–7. August.

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