: Geschichte einer Niederlage
Philippe Arlaud enttäuscht mit seinem „Tannhäuser“ bei der Eröffnung der 91. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth. Außer Lichteffekten und Bühnendesign gibt es kaum Inszenierungsspuren
von SABINE ZURMÜHL
Taschenkontrolle, wenn man auf den Vorplatz des Festspielhauses will. Die Sicherheit, die Sicherheit. Volksfeststimmung durch die klatschenden und den Autogrammblock zückenden Bayreuther, wenn Gottschalk, Mooshammer, Merkel, Genscher, Gaby Dohm und der Oberbürgermeister mit güldener Amtskette sich dem Volke zeigen. Was wollen die alle in diesem Stück, das von einem verlorenen Kampf mit sich selbst handelt ?
Die Wogen um die Wagner-Nachfolge in Bayreuth haben sich geglättet, die Beteiligten sind erschöpft, und mit der Regelung, den Intendanten des Münchner Gärtnerplatztheaters Klaus Schultz wie Kai aus der Kiste als „freien Mitarbeiter der Festspielleitung“ an die Seite Wolfgang Wagners zu holen, ist die spekulative Luft und Lust fürs Erste raus. Jetzt geht es wieder um die Kunst.
Philippe Arlaud, Franzose, Vielinszenierer (etwa „Tristan“ und „Fliegender Holländer“ in Straßburg, „Parsifal“ in Marseille, „La damnation de Faust“ von Berlioz in Bregenz), ist Regisseur und Bühnenbildner und „Lichtdesigner“ in einem. Zum Tannhäuser sagte er: „Ich werde versuchen, alle Szenen mit Bildern, Licht und minimal mit politischen, psychoanalytischen und erotischen Situationen zwei- bis dreifach lesbar zu machen.“ Mehr nicht?
Arlaud, der sich gern als Revolutionär und Neuerer feiern ließe, bedient die Konvention aufs üppigste. Der Venusberg erstrahlt im Liebesrot in einer Eiswüste, drei Grazien üben sich in Slowmotion-Gymnastik, Ritter schlagen mit Schwertern um sich, Pilger knien reihenweise auf und nieder. Vielleicht kann jemand diesem revolutionären Bildermacher unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, dass Venus als Symbol weiblicher Sinnlichkeit nicht eine Frau in roter Corsage sein muss, die sich mit halb geöffneten Knien auf dem Boden wälzt ?
Tannhäuser ist die Geschichte einer Niederlage, eines Scheiterns im Kampf mit sich selbst. Was für ein ernster und angstbesetzter Stoff. Wagner schrieb ihn im Vorfeld der 1848er-Revolution. Lange wurde das in erster Linie als Künstlerdrama intepretiert, als der Konflikt zwischen realer Lust – dem „Aussteigen“ aus der Verantwortung, eben dem Aufenthalt auf dem Venusberg – und dem Leben in der Gesellschaft, innerhalb der Regelwerke von Moral und Politik, die Verzicht bedingen. Aus heutiger Sicht wäre hinzuzufügen: Es ist auch die Geschichte einer Sucht, nicht lassen zu können vom einmal erlebten ekstatischen Kick, vom Erlebnis des Extrems, der Absolutheit, der schützenden Isolation. Wie ein Trinker, der sich vornimmt, nun endlich aufzuhören, beschwört Tannhäuser seinen notwendigen Ausstieg aus dem Venusberg. Und er hat sogar eine Helferin auf der „ordentlichen“ Seite: Elisabeth, die ihn liebt. Wagner beschreibt den Abstieg Tannhäusers, er erwibt keine Verzeihung, er stirbt an seiner „Sünde“. Die Geschichte eines missglückten Reifungsprozesses.
Arlaud leistet für diesen Plot keinen erkennbaren interpretatorischen Zusammenhang: Pilgerchor und Ritter marschieren auf und ab, „Volk“ besetzt als Zuhörerschaft des Sängerkriegs einen sauerbruchschen Anatomiesaal, alle in staatstragendem Schwarzrotgold. Der Wartburgvorplatz ist eine quietschgrüne gerundete Wiese mit ebensolchem Himmel, ein Plüschoval, das irgendwie an die 70er-Jahre-Flokatis erinnert.
Die Protagonisten leider, besonders der Australier Glenn Winslade als Tannhäuser, Ricarda Merbeth als Elisabeth und Barbara Schneider-Hofstetter, die Venus, bleiben sängerisch blass, ohne gestalterische Kraft, ohne Glanz.
Der Dirigent des Abends ist der hoch gelobte, mit Argusaugen hinsichtlich seiner zukünftigen Funktion für Bayreuth beobachtete Christian Thielemann aus Berlin. Sein Dirigat hielt, was man sich von ihm versprechen sollte: makellos, luzide, leise, die Strukturen der Motive diffenzierend und kontrastierend, daneben aber auch zupackend, leuchtend und kräftig in den heftigen großen Tutti des frühen Wagner.
Die geradezu unirdische Akustik des Bayreuther Raumes durfte sich dabei neuerlich zeigen. Die arlaudsche Licht- und Farborgie aber war dafür eine ärgerliche, an der Oberfläche sich eitel gerierende Ergänzung.
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