piwik no script img

„Bremerhaven ist immer eine Reise wert“

Jahrmarkt unter Takelagen: Die Bremerhavener Festwoche zum 175. Stadtjubiläum lockte mit Segelschiffen und maritimem Nippes Tausende von Touristen an die Kaje. Was sie hierher treibt? „Die Schiffe.“ Die Bremerhavener selbst sind längst nicht so begeistert von ihrer Stadt

„Ich habe bis jetzt noch keinen Bremerhavener hier gesehen.“

Sie kommen aus Osnabrück, aus dem Ruhrgebiet und aus Nordniedersachsen: Tausende von Touristen und ehemaligen Seestadt-BewohnerInnen zog es vergangene Woche nach Bremerhaven an die Kaje. Fünf Tage lang feierte die Stadt dort ihren 175. Geburtstag – mit Segler-Rennen und Schlepper-Tanz, Fallschirmspringen und Modellboot-Schau. „Bremerhaven ist immer gut“, sagt eine Frau aus Bremen-Nord.

87 Hektar niedersächsisches Weideland hatte der Bremer Bürgermeister Johann Smidt 1827 vom Königreich Hannover gekauft, um der Seehandelsstadt Bremen einen neuen Hafen zu bauen, an dem auch die schwer beladenen Segler mit großem Tiefgang anlegen konnten. Inzwischen ist die Bremer Exklave auf das 90-fache der ursprünglichen Größe und vom Hafen zur Stadt gewachsen. Die Schiffe haben keine Segel mehr und werden heute am gigantischen Containerterminal im Norden der Stadt beladen. Selbst der Fisch für die weit bekannten Bremerhavener Fischfabriken kommt zum Großteil per Lkw aus den Niederlanden. Doch die Nostalgie bleibt. Gefragt, was sie von nah und fern in die Seestadt treibt, antworten Alte wie Junge: „Die Schiffe.“

Gut 100 Stück waren es nach Angaben der Organisatoren in diesem Jahr – majestätische Segler und mausgraue Marinekreuzer, die sich in den stadtnahen Hafenbecken den Schaulustigen präsentierten. An der Gangway zur „Dar Młodziezy“ stehen regungslos die polnischen Matrosen in ihren weißen Uniformen. Drei Masten ragen von dem 110-Meter-Schiff in den Himmel, staunend wandern die Blicke nach oben in die Takelage. Kinder bekommen die Silhouette des Seglers auf den Arm gestempelt. „It’s free“, radebrecht der Uniformierte.

Auf dem Festland ist Jahrmarkt angesagt. Das Kettenkarussell schleudert seine Sitze in die Luft, die Kinder-Hüpfburg wackelt, Händler preisen maritimen Nippes an. Von der Gallionsfigur fürs Wohnzimmer bis hin zum eigenen Nostalgikfoto im Matrosenanzug ist auf dem „Basar Maritim“ alles zu haben. Nur eines fehlt in den Augen von Marlies Westphal, der bekennenden Seestadt-Bewohnerin: „Da müsste irgendwo stehen: ‚175 Jahre Bremerhaven‘.“

Zumindest tagsüber sind zwischen den Frittenbuden und Ständen mit historischen Seekarten auch die Fischtown-BewohnerInnen selbst deutlich in der Minderheit. „Ich habe hier an drei Tagen noch keinen Bremerhavener gesehen“, berichtet Westphal. Die haben vielleicht andere Sorgen: Die Arbeitslosenquote liegt über 18 Prozent, mehr als 1.000 Menschen verließen die Stadt im vergangenen Jahr, gut 3.000 Wohnungen stehen inzwischen leer. Selbst die neue „Bürger“, die Fußgängerzone, die der Magistrat gerade erst für 65 Millionen Euro zur Edel-Flaniermeile aufpeppen ließ, ist für Westphal kein Trost: „In allen anderen Stadtvierteln machen die Geschäfte zu.“

Aus Bremerhaven wegziehen will die Rentnerin trotzdem nicht. Schon gar nicht nach Bremen: „Die Bremer sind uns gegenüber ziemlich stur“, sagt sie. Was sie an Bremerhaven reizt? Westphal bekommt ein Schwärmen in die Augen: „Der Deich.“

Wenn Martin Soller daneben stünde – er würde nicken. Jahrzehnte seines Lebens hat der frühere Werftarbeiter an der Wesermündung verbracht, dann ist er vor 25 Jahren ins Ruhrgebiet gezogen. „Wie ich weg war, hat mir das gefehlt.“ 300 Kilometer legte er am Wochenende bisweilen zurück – nur um anschließend in Bremerhaven zwei Stunden den Deich rauf und runter zu laufen. Bereut hat er das nicht: „Bremerhaven ist immer eine Reise wert.“ Vor allem wegen der Schiffe: „Alles, was mit Seefahrt zu tun hat, ist hier schön hergerichtet.“

„Der Anblick ist freundlicher als früher“, urteilt auch eine weitere ehemalige Bremerhavenerin über die Stadt an der Wesermündung: „Das strahlt schon etwas aus.“ Nachher wird sie zur Freude aller das Gelände mit „original Friesländer Blasmusik“ beschallen.

Zunächst ist jedoch der Shanty-Chor Loxstedt an der Reihe. „Ich liebe die Nordsee, die Wellen, den Strand, die ganze herrliche Waterkant“ singen die Männer in den weißen Hemden. Und, schunkelnd, die roten Halstücher locker vor der Brust verknotet: „Mein Herz könnt woanders nicht glücklich sein.“ Das Publikum klatscht. Armin Simon

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen