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Membranen über Brüchen

Die Toleranz ist für Christoph Hagel und George Tabori das Herz von Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Nun bringen sie das Singspiel in die Gotteshäuser von drei verschiedenen Religionen. Die Premiere gab es in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Belmonte sitzt in schwarzer Hose und weißem Hemd auf einem Stuhl am Ende des Altars und singt. Seine Arie „Hier soll ich dich denn sehen“ vibriert von der Hoffnung, seine geliebte Konstanze, die entführt und von dem maurischen Fürsten Bassa Selim gekauft wurde, wiederzufinden. Die transparente Hülle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche umschließt die Musik und die Zuhörenden nur so eben mit einer dünnen Membran. Die Oper wird in der Kirche zu einer Spur der Erinnerung an eine Musik, die sehr schön und ergreifend ist, mit dem Leben aber nicht mehr viel zu tun hat, so viele Bilder haben sich schon darüber gelegt. An diesem Abend aber nicht. Sie schält sich aus ihrer verspielten und gepuderten Operntheatralik wie aus einem umständlichen Kostüm. Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ erzeugt in dieser Fassung bewusst keine eigene Illusion. Denn sie will sich nicht abschotten gegen das Hier und Jetzt.

Für Christoph Hagel, den Dirigenten und Produzenten der „Entführung“, ist dies das zweite Mozart-Unternehmen, für das er George Tabori als Regisseur gewinnen konnte. Der Markt für große Musiktheaterproduktionen außerhalb der Opernhäuser, auf den sich Hagel alle paar Jahre im Sommer wagt, ist ein abenteuerliches Gelände, in dem Musical-Produzenten regelmäßig absaufen. Hagel hat mit Mozart – „Don Giovanni“ im E-Werk, die „Zauberflöte“ in einem Zirkuszelt – geschafft, wovon viele Veranstalter nur träumen: den Weihrauch des Bildungsbürgers aus einer historischen Gattung zu schütteln und sie an ihren populären Ursprung zurückführen. Vielen Fans, die er und Tabori mit der „Zauberflöte“ gewonnen haben, wird ihre „Entführung“ jetzt spröde vorkommen.

Die Entschlackung der Oper von einer Aufführungsgeschichte, die Mozart erst mit roten Schleifen verpackt für marktkompatibel hält, das ist das eine Konzept dieser Inszenierung. Die ganze Energie und emotionale Bewegung wird der Musik zurückgegeben. Weggefallen sind die Handlungselemente, die dafür Bassa Selim als Erzähler kurz zusammenfasst. Mathieu Carrière macht das, lapidar und leicht spöttisch, immer schon auf Abstand zur eigenen Rolle.

Doch der Verzicht auf theatralische Opulenz wird überlagert von einer symbolischen Aufladung des Singspiels. Auf dem Programmheft ist eine Kinderzeichnung von Flugzeugen, die in Hochhäuser rasen. Eine Anspielung auf die Anschläge vom 11. September 2001 in New York, ohne Frage. „Das Stück ist eine ausgezeichnete Aussage über Toleranz“ sagt Tabori auf Seite 1.

Aus dieser Perspektive ist Bassa Selim der Held der Geschichte, weil er verzeiht. Er beharrt nicht auf der Hinrichtung von Konstanze und Belmonte, die zusammen auf der Flucht gefasst wurden. Er, der Ungläubige, zeigt den Christen, was echte Vergebung ist. „Toleranz“ ruft Carrière dem Publikum zu; aber dass dieser plötzliches Wechsel ins ethische Fach nun frei von allen ironischen Brüchen sein soll, glaubt man nicht so recht. Ob Mozart wohl geahnt hat, dass sein Singspiel nach 220 Jahren als „Versöhnungsangebot des Orients an den Okzident“ gehandelt wird?

Für die Visualisierung der Sehnsucht nach Toleranz haben Tabori und Hagel noch mehr getan. Vor allem der Wechsel der Aufführungsorte muss die Idee transportieren. Nach 15 Aufführungen in der Kaiser-Wilhelm-Gedächniskirche zieht die „Entführung“ in die Neue Synagoge an der Oranienburger Straße. Beide Häuser sind zugleich Erinnerungsorte der Stadt, an die Zerstörung des Judentums und die Bomben des Krieges. Sie erzählen auch deutlich davon, dass man Ende der Fünfzigerjahre, als der Neubau der Westberliner Kirche entstand, Geschichte anders erinnerte als bei der Wiederherstellung der Synagoge in den Neunzigerjahren. Der dritte Aufführungsort ist ein islamisches Gebetshaus der Aleviten. Ihn zu finden, war in der Vorbereitungszeit das größte Problem. Denn der erste Wunsch, die Oper in einer Moschee zu spielen, stieß auf wenig Verständnis in den muslimischen Gemeinden.

Die zurückhaltende Inszenierung räumt den Orten selbst eine große Präsenz ein. Damit verleiht sie dem Gedanken, mit Mozarts Musik eine Geste der Versöhnung der drei Religionen anzubieten, die größte Glaubwürdigkeit. Das aber ist auch bitter notwendig. Denn Mozarts Komposition ist als Vehikel solch idealistischen Ansinnens nur bedingt tauglich. Zwar hat Hagel in die musikalische Bearbeitung einige Lautenspieler und Sänger einbezogen, die den orientalischen Charakter der Musik verstärken sollen. Sie verbreiten eine „maurische Romanze“ Mozarts. Aber diese Einfügung bleibt doch nur eine Fußnote, so ein kleines Eingeständnis, dass man sehr wohl weiß, wie weit der Gebrauch, den die europäische Musikgeschichte von ihren orientalischen Anleihen gemacht, von deren Praxis entfernt ist.

In der Kaiser-Wilhelm-Gedächniskirche bis 16. August, in der Neuen Synagoge bis 25. August, im Islamischen Gebetshaus der Aleviten bis 4. September

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