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JENSEITS DER MEDIENREALITÄT UNTERSCHEIDEN SICH DIE PARTEIEN DOCHCooler wählen, bitte

Deutschland verwandelt sich jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, in ein Land der Hobbypsychologen. Überall wird gemutmaßt, welchen Kandidaten „der Wähler“ für am geeignetsten hält, auf wen er warum besonders sauer sein könnte. Die WählerInnen stellen sich aber im Grunde eine einfache, ziemlich unpsychologische Frage: Welchen politischen Unterschied kann ich überhaupt noch mit meiner Stimme bewirken? Diese Orientierung ist schwerer geworden und das ist auch wieder das Interessante an der Wahl.

Die Orientierungsproblematik ist auch an den Umfragewerten erkennbar. Dort dominiert die „Abstrafungsthese“. Laut neuesten Umfragen sinkt die Zustimmung für die SPD und für Kanzler Schröder wieder ab. Das läge unter anderem an den Querelen um die Telekom und den hohen Arbeitslosenzahlen, so vermuten die Forscher. Tatsächlich hat der Kanzler selbst dazu beigetragen, dass diese „Abstrafungsthese“ inzwischen weit verbreitet ist. Schröder muss damit für seine eigene Inszenierung bezahlen. Der Kanzler als Macher, als Mitlenker in wirtschaftlichen Dingen – damit hat sich Schröder überhöht und übernommen und gerät deswegen jetzt in die Rolle des Sündenbocks.

Die öffentliche Diskussion schnurrt damit auf die Frage zusammen: Trägt die rot-grüne Regierung Schuld an den hohen Arbeitslosenzahlen, an den sinkenden Aktienkursen, an den leeren öffentlichen Kassen? Man könnte allerdings auch fragen: Hätte es vielleicht sogar noch schlimmer kommen können, wenn eine CDU/CSU-Regierung an der Macht gewesen wäre? Schließlich hat auch die CDU/CSU für Steuersenkungen plädiert.

Die Schuldfrage ist nicht klar zu beantworten, aber sie hat sich in den Mittelpunkt des Wahlkampfes geschoben. Dazu trägt bei, dass politische Hoffnungen enttäuscht wurden: der Glaube, es könne zu Reformen im Sozialsystem kommen, die allen nur nützen, oder die Idee, man müsse nur die Steuern senken, um die gesamte Wirtschaft anzukurbeln. Auch der utopische Überschuss der Grünen ist aufgezehrt.

Wahlen können jedoch nicht nur eine Abstrafung für die Vergangenheit sein. Sie prägen vor allem die Zukunft. Und das setzt diese Bundestagswahl in ein anderes Licht. Sie ist nämlich besonders anspruchsvoll: Man muss sich die Mühe machen, die Unterschiede zwischen den Parteien herauszufriemeln, auch wenn sie nur noch klein erscheinen. Man muss sich über die Zusammenhänge von Wirtschaft und Politik ein differenziertes Bild machen, unabhängig von den medialen Inszenierungen. Man muss cooler wählen. Das hat mit Psychologie weniger zu tun. Sondern mit politischer Realität. BARBARA DRIBBUSCH

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