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Im Krieg gerät alles aus den Fugen

Im Osten des Kongo kommen die politischen Allianzen in Bewegung. Ruanda nimmt Abstand von den RCD-Rebellen und den Tutsi und sucht sich stattdessen Verbündete unter lokalen Milizen. Das sorgt für Verwirrung und ein Klima der Angst

aus Bukavu DOMINIC JOHNSON

Professor Alphonse Byamungu war zu Hause, als die Mörder kamen. Zwei Männer, einer in Uniform mit Gewehr und einer in Zivil mit Pistole, drangen abends in sein Haus ein. Der Zivilist drückte ihm die Pistole an die Schläfe und schoss. Wenige Tage nach diesem Mord in der Nacht zum 21. Juli hatte ein Kollege mehr Glück. Er war nicht da, als bewaffnete Männer an die Tür klopften und seine Frau nach ihm fragten. Als sie wieder weg waren, warnte sie ihn telefonisch, diese Nacht woanders zu verbringen. Und tatsächlich kamen die bewaffneten Besucher um vier Uhr morgens zurück – vergeblich.

Bukavu, die Hauptstadt der ostkongolesischen Provinz Südkivu, lebt in einem Klima der Angst. Kein Mensch traut sich nachts noch aus dem Haus. Misstrauen beherrscht politische Debatten. Niemand weiß, wer hinter der neuen Serie von Attentaten in Bukavu steckt. Die Opfer sind nicht die prominenten Gegner der hier herrschenden Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie), die mit Hilfe Ruandas den Osten des Kongo beherrscht und in Südkivu besonders viele Feinde hat. Viele meinen, es gehe einfach um Geldstreitereien oder andere Rivalitäten. „Man kann für zehn Dollar einen Mord bestellen“, sagt ein ausländischer Entwicklungshelfer.

„Die Gewalt nimmt zu“, bestätigt ein Kongolese. „Es handelt sich meist um Banditentum. Aber immer, wenn es Banditentum gibt, finden auch gezielte Morde statt. Es ist sozusagen ein organisiertes Banditentum. Soldaten und Polizisten werden ja nicht bezahlt. Aber sie müssen sich selbst eine Uniform und eine Waffe besorgen.“

Bukavu war lange diejenige Stadt in Ostkongo, in der die Gegner der RCD und Ruandas am härtesten und organisiertesten auftraten. Organisiert in der „Koordination der Zivilgesellschaft“, mehrheitlich von Führern des Shi-Volkes kontrolliert, riefen sie zu Streiks und Protesten auf, unterstützten RCD-feindliche kongolesische Milizen – die so genannten Mayi-Mayi – und bliesen zuweilen auczur Jagd auf Ruander und die kongolesischen Banyamulenge-Tutsi. Bukavu wähnte sich immer im Krieg, während außerhalb der Stadt Milizen ihr Unwesen trieben. Weite Teile Südkivus werden von Mayi-Mayi-Gruppen unter Kommando des „Generals“ Padiri beherrscht, der von der Regierung in Kinshasa unterstützt wird.

Aber die politische Landschaft ist durcheinandergeraten. Die wichtigste Milizengruppe des Shi-Volkes, Mudundu-40 – benannt nach einem Ort 40 Kilometer außerhalb Bukavus –, ist eine Allianz mit Ruanda eingegangen und ist mit dem Posten des Gouverneurs von Südkivu belohnt worden. In der von ihr beherrschten Region kann sich Ruandas Armee nun ungehindert bewegen, um den Kampf gegen ihren eigentlichen Feind zu führen: die in Südkivu sehr starken ruandischen Hutu-Milizen. Und in Bukavu weiß keiner mehr, wer für oder gegen Ruanda ist und in wessen Auftrag staatliche Stellen handeln.

Aus ihrer Sicht hat Mudundu-40 die RCD in Südkivu von der Macht verdrängt und ein taktisches Bündnis mit Ruanda geschlossen. „Wir sagten Ruanda: Wenn die RCD nicht für Sicherheit sorgen kann, überlasst uns doch die Provinz“, erklärt ein Aktivist von Mudundu-40. „Wir wollen, dass alle Ruander – Tutsi und Hutu – das Land verlassen. Also haben wir uns entschlossen, erst mal die Hutumilizen zu jagen. Es ist eine kleine Höflichkeit gegenüber Ruanda. Sie haben uns vielleicht auch eine kleine Höflichkeit erwiesen.“ Als Nächstes erwartet er auch einen Umsturz in Goma. „Bald wird es die RCD nicht mehr geben.“

Es gibt viele Beobachter, die der Meinung sind, Ruanda sei dabei, die 1998 mit seiner Hilfe ins Leben gerufene und chronisch unbeliebte RCD fallen zu lassen, um stattdessen mit anderen Kräften eine Verständigung zu finden, die besser in der Bevölkerung verankert sind. Die einst engsten militärischen Verbündeten Ruandas im Kongo, die Banyamulenge-Tutsi, sind hingegen nun Zielscheibe der ruandischen Armee. Seit dem Beginn einer Meuterei des Banyamulenge-Kommandanten Masunzu innerhalb der RCD hat Ruanda das Heimatgebiet der Ethnie, das Minembwe-Plateau, praktisch unter Dauerfeuer genommen. Mit Luftangriffen und schwerer Artillerie soll dort Masunzus Meuterei, die angeblich Unterstützung von Kongos Regierung in Kinshasa erhält, in die Knie gezwungen werden. Die Banyamulenge-Bewohner der Gegend haben dabei das Nachsehen. „Die Leute werden von Ruandas Armee zusammengetrieben und kriegen keine Versorgung“, erzählt einer von ihnen in Bukavu, der kürzlich die Region besuchen konnte. „Die Ernten sind verbrannt oder geplündert. Es sind nicht einmal richtige Lager, die Leute schlafen unter den Bäumen, bewacht von Soldaten.“ Humanitäre Hilfe gibt es so gut wie keine – die Zone ist Sperrgebiet.

Alle Flugpisten von Minembwe sind mittlerweile unter ruandischer Kontrolle, so dass Masunzu keinen Nachschub mehr hat. Aber seit Beginn des Kongokrieges hat keine kongolesische Gruppe Ruandas Armee so viel Probleme bereitet wie die kampferfahrenen Banyamulenge-Truppen Masunzus. In Bukavu, wo die Banyamulenge lange in Angst vor einem Genozid durch die antiruandische Hetze der RCD-Gegner lebten, sind die Tutsi nun wieder gern gesehen – vom Rest der Zivilbevölkerung, allerdings nicht mehr von Ruandas Armee. „Früher war es eine richtige Segregation“, so der Gesprächspartner. „Wir konnten nicht auf die Straße, die Frauen wurden auf den Märkten boykottiert. Heute müssen wir Verfolgung und Gefängnis fürchten. Aber es ist besser, mit der Bevölkerung zu leiden.“

Die Shi auf Seiten Ruandas, die Banyamulenge als ihre Gegner – verkehrte Welt in Südkivu. Die fanatisch antiruandischen Shi-Führer, die Mudundu-40 als Verräter ansehen, müssen sich nun mit den Banyamulenge verbünden, die sie früher als ruandische Besatzer ausrotten wollten. Ein Menschenrechtsaktivist sieht das alles nur noch zynisch. „Die Leute sind dermaßen verarmt“, meint er, „dass sie ihre Persönlichkeiten nicht mehr unter Kontrolle haben. Sie machen alles, um zu überleben.“

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