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Aus dem Schatten getreten

Die Ikone der „Papierlosen“ kommt ins Paradox. Madjiguène Cissé spricht morgen Abend über die Bewegung der „Sans-papiers“ in Frankreich

Mir reicht mein afrikanischer Pass, sagt Cissé, als wäre sievöllig globalisiert

Als Stimme der „Sans-papiers“, der Einwanderer ohne Aufenthaltstitel, machte Madjiguène Cissé vor sechs Jahren international erstmals Schlagzeilen. Fernsehbilder waren zuvor um die Welt gegangen – von französischen Polizisten, die bewaffnet Pariser Kirchen stürmten, um AfrikanerInnen herauszuholen, die darin vor Abschiebung Zuflucht gesucht hatten. „Illegale“ in der Polizeisprache. „Illegal gemachte“ in den Worten von Madjiguène Cissé, die morgen im Paradox über die Papierlosen und ihre Organisation in Frankreich spricht.

„Aus dem Schatten treten“ heißt die Veranstaltung, zu der Antirassismus-Büro, Medinetz, Karawanengruppe und Flüchtlingsinitiative einladen. Tatsächlich ist den „Sans-papiers“ in Frankreich spektakulär gelungen, was in Deutschland bis heute undenkbar scheint: Sie schafften es, Widerstand gegen die Abschiebung von ImmigrantInnen in Parteien und Gewerkschaften so zu verankern, dass ihre Forderung, „Papiere für alle“, wenig später in einer „Regularisierungsaktion“ mündete. Einwanderer konnten in Frankreich – wie auch in Italien und anderen europäischen Ländern – ein Bleiberecht bekommen, obwohl sie doch entweder mit ihrer Einreise oder mit ihrem Im-Land-bleiben gegen Gesetze verstoßen hatten.

Dem vorausgegangen war – und auch das ist in Deutschland selten – der Zusammenschluss von Einwanderergruppen, die selbstbewusst Proteste in eigener Sache organisierten. Als erfolgreicher Ansatz bewies sich die punktgenaue Kooperation mit anderen Organisationen. So zeigten sich Gewerkschaften offen für Argumente wie: „Eine Aufenthaltserlaubnis schützt uns davor, drastisch ausgebeutet zu werden.“ Und Parteien beeindruckte das Selbstbewusstsein einer neuen politischen Bewegung, die Cissé bis heute verkörpert, indem sie – als Gast des letztjährigen taz-Kongresses in Berlin etwa – erklärt: „Mir reicht mein afrikanischer Pass.“ Nicht ohne Hintersinn, als gäbe es keine afrikanische Staaten mehr, im Zeitalter der Globalisierung. Oder mit Cissé gesagt: „Was bedeutet Nationalstaat, wenn multinationale Konzerne die Weltwirtschaft kontrollieren?“

Madjiguène Cissé ist also Afrikanerin. Senegalesin. Buchautorin, Mutter von drei Kindern und Partnerin eines Hochschullehrers in Dakar. Im ersten Beruf arbeitete sie als Lehrerin, dafür hat sie in Saarbrücken studiert. „Spießbürgerlich, nicht?“, kommentiert sie ironisch gern ihre Herkunft, die heute 49-jährige Tochter einer Hausfrau und eines Busfahrers, die das Lernen der Tochter förderten, die selbst darin die Chance auf Ausstieg sah und heute folgerichtig – inzwischen nach Dakar zurückgekehrt – den eigenen Kindern das Studium in Europa verschafft, wo Lehrer nicht monatelang streiken und die Frage nach dem „Wie wollen Sie leben?“ nicht zum „Wie überleben?“ wird. ede

Mittwoch, 20 Uhr, Bernhardstr. 12

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